Willi Mako
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AS4-Entkopplung im BDEW-Profil: Flexibilität & Skalierbarkeit

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TAGS [EDIFACT][MARKTROLLE][MESSSTELLENBETREIBER][PROZESS][ZUORDNUNG][REDISPATCH][FEHLERBEHANDLUNG]

Einfluss der Entkopplung von AS4-Protokoll und Geschäftsprozess im BDEW-Profil auf Flexibilität und Skalierbarkeit der Marktkommunikation

1. Auswirkungen auf Flexibilität

Die Entkopplung des AS4-Protokolls vom Geschäftsprozess im BDEW-Profil hat sowohl vorteilhafte als auch einschränkende Effekte auf die Flexibilität der Marktkommunikation.

Vorteile der Entkopplung
  • Technische Standardisierung: Durch die Trennung von Transportschicht (AS4) und Geschäftslogik wird eine einheitliche technische Basis geschaffen, die unabhängig von spezifischen Marktprozessen funktioniert. Dies ermöglicht eine modulare Architektur, in der Änderungen an Geschäftsprozessen (z. B. neue Regularien) nicht zwangsläufig Anpassungen am AS4-Protokoll erfordern.
  • Wiederverwendbarkeit von Infrastruktur: Da der Service-Wert (z. B. https://www.bdew.de/as4/communication/services/MP) und die Action (z. B. http://docs.oasis-open.org/ebxml-msg/as4/200902/action) fest vorgegeben sind, können gleiche AS4-Implementierungen für verschiedene Marktrollen (Netzbetreiber, Lieferanten, Messstellenbetreiber) genutzt werden. Dies reduziert den Implementierungsaufwand und beschleunigt die Integration neuer Teilnehmer.
  • Kompatibilität mit internationalen Standards: Die Verwendung von ebCore-PartyId-Typen (z. B. urn:oasis:names:tc:ebcore:partyid-type:iso6523:0088 für GLN) und URI-basierten Service- und Action-Werten entspricht internationalen AS4-Konventionen (OASIS ebMS 3.0/AS4). Dies erleichtert die grenzüberschreitende Kommunikation und die Anbindung an europäische Marktprozesse (z. B. im Rahmen von EU-Datenräumen).
Einschränkungen der Flexibilität
  • Starre Festlegung von Service- und Action-Werten: Die obligatorische Verwendung vordefinierter URIs (z. B. für Marktprozesse, Fahrpläne, Redispatch 2.0) bedeutet, dass keine dynamische Anpassung an neue Geschäftsprozesse möglich ist, ohne das BDEW-Profil zu erweitern. Dies kann Innovationen bremsen, wenn neue Prozesse (z. B. Wasserstoffmarktkommunikation) eingeführt werden sollen.
  • Abhängigkeit von BDEW-Definitionen: Da die Service- und Action-Werte zentral vom BDEW vorgegeben werden, müssen alle Marktteilnehmer bei Änderungen (z. B. neue Prozesse wie KWEP oder System Operation Guideline) ihre Systeme anpassen. Dies führt zu Koordinationsaufwand und potenziellen Verzögerungen.
  • Fehlende Granularität in der Action-Spezifikation: Die einheitliche Action (http://docs.oasis-open.org/ebxml-msg/as4/200902/action) für alle Übertragungen bedeutet, dass keine differenzierte Steuerung von Geschäftsvorfällen (z. B. "Stornierung", "Bestätigung", "Korrektur") auf Protokollebene möglich ist. Dies muss stattdessen in der Nutzdatenstruktur (z. B. EDIFACT, XML) abgebildet werden, was die Komplexität der Anwendungslogik erhöht.

2. Auswirkungen auf Skalierbarkeit

Die Entkopplung beeinflusst die Skalierbarkeit der Marktkommunikation in folgenden Punkten:

Positive Effekte
  • Horizontale Skalierung der Infrastruktur: Da AS4 als standardisiertes Protokoll unabhängig von Geschäftsprozessen arbeitet, können Nachrichtenbroker, Gateways und Clearingstellen (z. B. MaKo-Hubs) skalierbar betrieben werden. Die Lastverteilung erfolgt auf Protokollebene, ohne dass Geschäftsprozess-spezifische Logik berücksichtigt werden muss.
  • Einfache Integration neuer Marktrollen: Neue Teilnehmer (z. B. Aggregatoren, Speicherbetreiber) können sich mit minimalem Anpassungsaufwand anschließen, da sie lediglich die vorgegebenen Service- und Action-Werte verwenden müssen. Dies beschleunigt die Markteinführung neuer Akteure.
  • Zukunftssicherheit durch Standardisierung: Die Verwendung von OASIS-Standards (ebMS 3.0/AS4) und URI-basierten Identifikatoren ermöglicht eine langfristige Kompatibilität, selbst wenn sich Geschäftsprozesse ändern. Dies reduziert das Risiko von Protokollbrüchen bei regulatorischen Anpassungen.
Herausforderungen für die Skalierbarkeit
  • Engpässe bei der Prozessvielfalt: Wenn neue Marktprozesse (z. B. Flexibilitätsmärkte, Sektorkopplung) eingeführt werden, muss das BDEW-Profil manuell erweitert werden (z. B. durch neue Service-URIs). Dies kann zu Verzögerungen führen, insbesondere wenn viele Marktteilnehmer gleichzeitig anpassen müssen.
  • Komplexität bei der Fehlerbehandlung: Da die Action-Werte nicht prozessspezifisch sind, muss die Fehlerdiagnose auf Anwendungsebene erfolgen. Bei einer hohen Anzahl von Nachrichten (z. B. im Fahrplanmanagement) kann dies zu Performance-Problemen führen, wenn Logik zur Unterscheidung von Geschäftsvorfällen in die Nutzdaten verlagert wird.
  • Abhängigkeit von zentralen Instanzen: Die Festlegung von PartyId-Typen (z. B. unregistered:BDEW, unregistered:DVGW) und Service-URIs erfordert eine zentrale Steuerung durch den BDEW. Bei einer starken Zunahme von Marktteilnehmern (z. B. durch Dezentralisierung) könnte dies zu Verwaltungsaufwand führen.

3. Prozessuale Risiken durch starre Festlegung von Service- und Action-Werten

Die starre Vorgabe von Service- und Action-Werten im BDEW-Profil birgt folgende prozessuale Risiken:

a) Inflexibilität bei regulatorischen Änderungen
  • Problem: Wenn neue EU- oder nationale Regularien (z. B. Redispatch 3.0, Wasserstoffmarktkommunikation) eingeführt werden, müssen neue Service-URIs definiert werden. Da dies manuell erfolgt, kann es zu Verzögerungen kommen, bis alle Marktteilnehmer ihre Systeme angepasst haben.
  • Risiko: Nicht-konforme Kommunikation während der Übergangsphase, da alte und neue Service-Werte parallel existieren.
b) Erhöhte Komplexität in der Anwendungslogik
  • Problem: Da die Action für alle Übertragungen gleich ist (http://docs.oasis-open.org/ebxml-msg/as4/200902/action), muss die Unterscheidung von Geschäftsvorfällen (z. B. "Anmeldung", "Abrechnung", "Stornierung") in den Nutzdaten erfolgen. Dies führt zu:
    • Erhöhtem Entwicklungsaufwand für die Interpretation der Nutzdaten.
    • Fehleranfälligkeit, da Validierungslogik auf Anwendungsebene implementiert werden muss.
  • Risiko: Falsche Zuordnung von Nachrichten, wenn die Nutzdaten nicht korrekt interpretiert werden (z. B. Verwechslung von Fahrplan- und Redispatch-Daten).
c) Abhängigkeit von BDEW-Entscheidungen
  • Problem: Da der BDEW alle Service- und Action-Werte zentral vorgibt, haben Marktteilnehmer keine Möglichkeit, eigene Prozesse ohne vorherige Abstimmung zu implementieren. Dies kann zu:
    • Verzögerungen bei der Einführung neuer Geschäftsmodelle (z. B. Peer-to-Peer-Handel).
    • Konflikten bei der Interpretation von URIs, wenn diese nicht eindeutig definiert sind (z. B. Überschneidungen zwischen "Marktprozessen" und "Fahrplänen").
  • Risiko: Fragmentierung der Kommunikation, wenn Marktteilnehmer Workarounds entwickeln (z. B. Nutzung von Test-URIs für produktive Prozesse).
d) Herausforderungen bei der Migration
  • Problem: Bei einer Änderung der Service- oder Action-Werte (z. B. durch eine neue BDEW-Profilversion) müssen alle Marktteilnehmer gleichzeitig umstellen. Dies erfordert:
    • Koordinierte Testphasen (z. B. über den AS4-Testservice).
    • Rückfallmechanismen, falls die Migration fehlschlägt.
  • Risiko: Kommunikationsausfälle, wenn nicht alle Teilnehmer rechtzeitig umstellen (z. B. bei kleinen Lieferanten mit begrenzten IT-Ressourcen).

Fazit und Handlungsempfehlungen

Die Entkopplung von AS4 und Geschäftsprozess im BDEW-Profil bietet technische Standardisierung und Skalierbarkeit, schränkt jedoch die Flexibilität bei der Einführung neuer Prozesse ein. Die starre Festlegung von Service- und Action-Werten reduziert zwar den Implementierungsaufwand, birgt aber Risiken bei regulatorischen Änderungen und der Prozessvielfalt.

Empfehlungen für Marktteilnehmer:

  1. Frühzeitige Abstimmung mit dem BDEW bei geplanten Prozessänderungen, um neue Service-URIs rechtzeitig zu definieren.
  2. Automatisierte Validierung der Nutzdaten, um Fehler bei der Interpretation von Geschäftsvorfällen zu vermeiden.
  3. Modulare Systemarchitektur, die eine schnelle Anpassung an neue Service-Werte ermöglicht.
  4. Nutzung des AS4-Testservices für Migrationsszenarien, um Kommunikationsausfälle zu vermeiden.

Empfehlungen für den BDEW:

  1. Erweiterung des Profils um dynamische Service-Definitionen (z. B. durch Platzhalter-URIs für zukünftige Prozesse).
  2. Einführung granularer Action-Werte, um die Unterscheidung von Geschäftsvorfällen auf Protokollebene zu ermöglichen.
  3. Regelmäßige Konsultationen mit Marktteilnehmern, um neue Anforderungen frühzeitig zu identifizieren.

Durch diese Maßnahmen kann die Flexibilität und Skalierbarkeit der Marktkommunikation weiter verbessert werden, ohne die Stabilität des AS4-Protokolls zu gefährden.