Asymmetrische Pflicht zur Syntaxfehlerrückmeldung (CONTRL) in der Stromsparte: Risikoverteilung, Verantwortungskette und regulatorische Konsequenzen
1. Risikoverteilung zwischen Sender und Empfänger
Die asymmetrische Pflicht zur Syntaxfehlerrückmeldung (CONTRL) in der Stromsparte führt zu einer ungleichen Risikoverteilung zwischen den Marktteilnehmern:
Senderseitige Verantwortung: Der Sender trägt das primäre Risiko, dass eine syntaktisch fehlerhafte Übertragungsdatei vom Empfänger nicht erkannt oder nicht gemeldet wird. Da der Empfänger nur bei tatsächlichen Syntaxfehlern eine CONTRL-Nachricht versenden muss, besteht für den Sender das Risiko, dass fehlerhafte Daten unbemerkt in die Systeme des Empfängers gelangen. Dies kann zu Folgefehlern in der Abrechnung, Bilanzierung oder Netzsteuerung führen, deren Korrektur mit erheblichem Aufwand verbunden ist.
Empfängerseitige Verantwortung: Der Empfänger hat eine eingeschränkte Pflicht zur Fehlererkennung. Er muss lediglich prüfen, ob die empfangene Datei den syntaktischen Vorgaben (z. B. EDIFACT- oder UTILMD-Struktur) entspricht. Eine inhaltliche Prüfung (z. B. Plausibilität von Zählwerten oder Vertragsnummern) ist nicht vorgeschrieben. Dadurch verlagert sich das Risiko von Dateninkonsistenzen teilweise auf den Sender, der im Zweifel nachweisen muss, dass seine Daten korrekt waren.
Diese Asymmetrie führt zu einer einseitigen Risikobelastung des Senders, da dieser im Fehlerfall die Beweislast trägt, während der Empfänger nur bei offensichtlichen Syntaxverstößen reagieren muss.
2. Verantwortungskette im Fehlerfall
Die asymmetrische CONTRL-Pflicht beeinflusst die Verantwortungskette wie folgt:
Erkennung von Fehlern: Da der Empfänger nur bei Syntaxfehlern eine Rückmeldung geben muss, bleiben inhaltliche oder logische Fehler (z. B. falsche Zählpunktbezeichnungen, unplausible Verbrauchswerte) oft unentdeckt. Der Sender erhält keine automatisierte Bestätigung über die inhaltliche Korrektheit der Daten, was die Fehlererkennung erschwert.
Eskalationsmechanismen: Im Fehlerfall muss der Sender aktiv nachfragen, ob die Daten verarbeitet wurden. Da keine automatische Bestätigungspflicht für syntaktisch korrekte, aber inhaltlich fehlerhafte Daten besteht, verzögert sich die Fehlerbehebung. Dies kann zu:
- Abrechnungsverzögerungen (z. B. bei falschen Lieferantenwechseln),
- Bilanzkreisungleichgewichten (z. B. durch fehlerhafte Prognosedaten),
- Netzstörungen (z. B. durch falsche Schaltmeldungen) führen.
Beweislastumkehr: Da der Empfänger nur bei Syntaxfehlern eine CONTRL versendet, muss der Sender im Streitfall nachweisen, dass seine Daten korrekt waren. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn der Empfänger die Daten zwar syntaktisch akzeptiert, aber inhaltlich falsch verarbeitet hat.
3. Prozessuale und regulatorische Konsequenzen
a) Prozessuale Anpassungen
Um die Risiken der asymmetrischen CONTRL-Pflicht zu mindern, sind folgende Maßnahmen erforderlich:
Erweiterte Prüfpflichten für Empfänger: Eine Ausweitung der CONTRL-Pflicht auf inhaltliche Plausibilitätsprüfungen (z. B. Zählpunktvalidierung, Vertragsnummernabgleich) würde die Fehlererkennung verbessern. Allerdings würde dies den Aufwand für Empfänger erhöhen und müsste regulatorisch vorgegeben werden.
Automatisierte Bestätigungsmechanismen: Die Einführung einer positiven Quittierung (z. B. eine CONTRL-Nachricht auch für syntaktisch korrekte Daten) würde die Transparenz erhöhen. Dies könnte jedoch zu einer Flut von Rückmeldungen führen und müsste technisch umgesetzt werden.
Standardisierte Eskalationsprozesse: Klare Fristen für die Fehlerbehebung (z. B. maximale Bearbeitungszeit für CONTRL-Rückmeldungen) und definierte Eskalationsstufen (z. B. bei ausbleibender Reaktion) würden die Verantwortungskette straffen.
b) Regulatorische Maßnahmen
Die Bundesnetzagentur (BNetzA) und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) könnten folgende Anpassungen vornehmen:
Erweiterung der Marktregeln (MaBiS, GPKE): Eine Präzisierung der CONTRL-Pflichten, z. B. durch die Einführung einer erweiterten Syntaxprüfung (inkl. grundlegender Plausibilitätschecks), würde die Risikoverteilung ausgleichen.
Verpflichtende Fehlerprotokolle: Empfänger könnten verpflichtet werden, ein Fehlerlog zu führen, das auch inhaltliche Abweichungen dokumentiert. Dies würde die Nachweispflicht des Senders erleichtern.
Stärkere Sanktionierung von Nichtmeldungen: Bei unterlassener CONTRL-Rückmeldung trotz Syntaxfehlern könnten Bußgelder oder Schadensersatzpflichten eingeführt werden, um die Compliance zu erhöhen.
4. Fazit
Die asymmetrische CONTRL-Pflicht in der Stromsparte führt zu einer einseitigen Risikoverlagerung auf den Sender, da dieser im Fehlerfall die Beweislast trägt und keine automatisierte Bestätigung über die inhaltliche Korrektheit seiner Daten erhält. Dies erschwert die Fehlererkennung und verzögert die Eskalation.
Empfehlungen:
- Regulatorische Anpassung: Erweiterung der CONTRL-Pflicht auf Plausibilitätsprüfungen.
- Prozessuale Optimierung: Einführung automatisierter Bestätigungsmechanismen und standardisierter Eskalationswege.
- Technische Umsetzung: Entwicklung von Schnittstellen, die eine effiziente Fehlerkommunikation ermöglichen.
Ohne solche Maßnahmen bleibt die aktuelle Regelung ein strukturelles Risiko für die Marktkommunikation, das insbesondere kleinere Marktteilnehmer benachteiligt.