Willi Mako
// PROTOCOL:

BDEW als Standardsetzer: Macht & Verantwortung im Energiemarkt

ID#CA5-19
STATUSREAD_ONLY
AUTHORSYS_ADMIN
TAGS [EDIFACT][LIEFERANTENWECHSEL][MESSSTELLENBETREIBER][PROZESS][GPKE]

Einfluss des BDEW als Standardsetzer auf die Macht- und Verantwortungsverteilung im deutschen Energiemarkt

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) nimmt als privatrechtlicher Verband eine zentrale Rolle bei der Standardisierung von Prozessen im deutschen Energiemarkt ein. Durch Instrumente wie das APERAK-Anwendungshandbuch (Automated Process for Electronic Response to Application for Capacity) definiert der BDEW technische und prozessuale Vorgaben für den Datenaustausch zwischen Marktteilnehmern – insbesondere Netzbetreibern, Lieferanten und Messstellenbetreibern. Diese Standardisierung hat weitreichende Auswirkungen auf die Macht- und Verantwortungsverteilung sowie auf die Risikostruktur im Markt.


1. Macht- und Verantwortungsverteilung durch BDEW-Standards

a) Zentralisierung der Regelungskompetenz

Der BDEW agiert als de facto-Regelsetzer, obwohl er keine hoheitliche Behörde ist. Seine Handbücher (wie das APERAK-Handbuch) werden von Marktteilnehmern als verbindlich behandelt, da Abweichungen zu Prozessstörungen, Haftungsrisiken oder Ausschlüssen aus Marktprozessen führen können. Diese informelle Bindungswirkung stärkt die Position des BDEW als Gatekeeper für Marktprozesse, ohne dass eine demokratische Legitimation oder formale Rechtsgrundlage besteht.

  • Netzbetreiber sind durch die BDEW-Vorgaben in ihrer operativen Gestaltungsfreiheit eingeschränkt, da sie Schnittstellen und Datenformate nach einheitlichen Standards ausrichten müssen. Gleichzeitig profitieren sie von einer Reduzierung von Schnittstellenkomplexität, da Lieferanten und Messstellenbetreiber an dieselben Vorgaben gebunden sind.
  • Lieferanten sind auf die Einhaltung der BDEW-Standards angewiesen, um marktweite Kompatibilität zu gewährleisten. Abweichungen können zu Abrechnungsfehlern, Vertragsstrafen oder Lieferunterbrechungen führen. Die Abhängigkeit von den BDEW-Vorgaben schwächt ihre Verhandlungsmacht gegenüber Netzbetreibern, da individuelle Anpassungen kaum durchsetzbar sind.
  • Messstellenbetreiber (insbesondere grundzuständige und wettbewerbliche) müssen ihre Systeme an die BDEW-Spezifikationen anpassen, um Datenlieferungen an Netzbetreiber und Lieferanten zu ermöglichen. Die Standardisierung vereinfacht zwar die Interoperabilität, führt aber auch zu Investitionszwängen, da technische Änderungen (z. B. bei der Einführung neuer Messsysteme) nur im Rahmen der BDEW-Vorgaben umsetzbar sind.

b) Asymmetrische Verantwortungszuweisung

Die BDEW-Standards definieren nicht nur technische Details, sondern auch Verantwortlichkeiten für Fehlerbehebung und Eskalationsprozesse. Beispielsweise legt das APERAK-Handbuch fest, wer bei fehlerhaften Datenlieferungen (z. B. falsche Zählerstände) für die Korrektur zuständig ist. Diese Regelungen können zu ungleichen Lastenverteilungen führen:

  • Netzbetreiber tragen oft die Hauptverantwortung für die Datenqualität, da sie als zentrale Schnittstelle zwischen Lieferanten und Messstellenbetreibern fungieren. Fehler in der Datenweiterleitung können zu Rückforderungen oder Regressansprüchen führen.
  • Lieferanten sind zwar für die korrekte Abrechnung verantwortlich, können aber bei fehlerhaften Eingangsdaten (z. B. durch Messstellenbetreiber) nur eingeschränkt gegensteuern, wenn die BDEW-Prozesse keine klaren Eskalationswege vorsehen.
  • Messstellenbetreiber haften für die technische Richtigkeit der Messdaten, sind aber bei Systemfehlern (z. B. durch falsche Parametrisierung nach BDEW-Vorgaben) auf die Kooperation der Netzbetreiber angewiesen.

2. Prozessuale Risiken durch unterschiedliche Interpretation und Umsetzung

Trotz der angestrebten Standardisierung bergen die BDEW-Vorgaben erhebliche Risiken, wenn Marktteilnehmer sie unterschiedlich auslegen oder umsetzen. Diese Risiken lassen sich in drei Kategorien unterteilen:

a) Technische Inkompatibilitäten

  • Schnittstellenprobleme: Selbst geringfügige Abweichungen in der Implementierung (z. B. unterschiedliche Feldlängen in EDIFACT-Nachrichten) können zu Datenverlusten oder -verfälschungen führen. Da das APERAK-Handbuch nicht alle Details verbindlich regelt, entstehen Grauzonen, die individuelle Lösungen erfordern.
  • Versionierungsrisiken: Der BDEW aktualisiert seine Handbücher regelmäßig (z. B. Version 1.0 vom 01.04.2025). Marktteilnehmer müssen ihre Systeme anpassen, was zu temporären Inkompatibilitäten führen kann, wenn nicht alle Akteure gleichzeitig umstellen.
  • Fehlende Testumgebungen: Da es keine zentrale Instanz gibt, die die Konformität von Implementierungen prüft, bleiben Fehler oft erst im Echtbetrieb erkennbar – mit potenziell hohen Folgekosten.

b) Juristische und haftungsrechtliche Unsicherheiten

  • Unklare Verantwortungszuweisung: Das APERAK-Handbuch enthält zwar Eskalationsprozesse, aber keine verbindlichen Haftungsregeln. Bei Streitigkeiten (z. B. über die Ursache von Abrechnungsfehlern) müssen Gerichte oder Schiedsstellen entscheiden, was zu langwierigen Verfahren führt.
  • Vertragliche Lücken: Viele Marktverträge verweisen pauschal auf „BDEW-Standards“, ohne konkrete Pflichten zu definieren. Dies kann zu Auslegungskonflikten führen, etwa wenn ein Netzbetreiber eine strengere Interpretation der APERAK-Vorgaben durchsetzt als ein Lieferant.
  • Regulatorische Grauzonen: Da der BDEW keine hoheitliche Behörde ist, sind seine Vorgaben nicht einklagbar. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) kann zwar im Rahmen der Marktkommunikation (z. B. GPKE) eingreifen, aber nur bei systematischen Verstößen gegen gesetzliche Vorgaben (z. B. EnWG).

c) Operative Ineffizienzen und Kostenrisiken

  • Mehrfachanpassungen: Wenn ein Marktteilnehmer die BDEW-Vorgaben anders umsetzt als seine Partner, müssen manuelle Korrekturen vorgenommen werden, was zu höheren Betriebskosten führt.
  • Prozessverzögerungen: Unterschiedliche Interpretationen können zu Rückfragen, Nachbesserungen oder Eskalationen führen, die die Lieferantenwechsel- oder Abrechnungsprozesse verlangsamen.
  • Investitionsrisiken: Unternehmen, die in Systeme investieren, die später nicht mit den BDEW-Standards kompatibel sind, tragen das Risiko von Nachrüstkosten oder Systemwechseln.

3. Fazit: Notwendigkeit von Klarheit und Kontrolle

Die zentrale Rolle des BDEW als Standardsetzer führt zu einer effizienteren Marktkommunikation, birgt aber auch Machtkonzentration, Verantwortungsasymmetrien und prozessuale Risiken. Um diese zu minimieren, wären folgende Maßnahmen sinnvoll:

  1. Verbindlichere Vorgaben: Der BDEW sollte präzisere technische Spezifikationen entwickeln und Testverfahren für die Konformität von Implementierungen einführen.
  2. Regulatorische Einbindung: Die BNetzA könnte die BDEW-Standards formell anerkennen und bei Streitigkeiten als Schiedsstelle fungieren.
  3. Transparente Eskalationsprozesse: Klare Regelungen für Fehlerbehebung, Haftung und Fristen würden Rechtsunsicherheiten reduzieren.
  4. Marktweite Schulungen: Einheitliche Schulungen für alle Marktteilnehmer könnten unterschiedliche Interpretationen verringern.

Solange diese Maßnahmen nicht umgesetzt werden, bleibt die Abhängigkeit von BDEW-Standards ein strukturelles Risiko für den deutschen Energiemarkt – mit potenziellen Folgen für die Versorgungssicherheit, Kosteneffizienz und Wettbewerbsneutralität.