Willi Mako
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Dezentralisierung: Wie Prosumer die MaKo revolutionieren

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Wie die Dezentralisierung der Energieerzeugung die Marktkommunikation verändert Stand: September 2025

Die zunehmende Dezentralisierung der Energieerzeugung – insbesondere durch Prosumer (Produzenten und Konsumenten in einer Person) – stellt die etablierten Strukturen der Marktkommunikation (MaKo) vor grundlegende Herausforderungen. Während die regulatorischen Rahmenbedingungen wie die Marktkommunikation (MaKo) und die Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität (GPKE) ursprünglich für zentrale Großkraftwerke und unidirektionale Energieflüsse konzipiert wurden, erfordert die bidirektionale Einspeisung kleinerer Erzeugungsanlagen (z. B. Photovoltaik, Batteriespeicher, Blockheizkraftwerke) eine Anpassung der Prozesse, Datenformate und Kommunikationswege. Dieser Wandel betrifft sowohl technische als auch organisatorische Aspekte der Marktkommunikation.


1. Regulatorische Vorgaben im Spannungsfeld dezentraler Erzeugung

Die bestehenden Regelwerke (MaKo, GPKE) basieren auf klar definierten Rollen: Lieferanten, Netzbetreiber, Bilanzkreisverantwortliche und Messstellenbetreiber agieren in einem hierarchischen System mit standardisierten Prozessen (z. B. Lieferantenwechsel, Bilanzkreisabrechnung, Netznutzungsabrechnung). Die Dezentralisierung durchbricht dieses Modell in mehreren Punkten:

  • Prosumer als neue Marktakteure: Prosumer sind gleichzeitig Erzeuger und Verbraucher, was zu mehrfachen Rollen in der Marktkommunikation führt. Ein Haushalt mit PV-Anlage und Speicher muss beispielsweise als Einspeiser (gemäß EEG), Verbraucher (für den Bezug) und potenziell als Flexibilitätsanbieter (z. B. für Redispatch 2.0) abgebildet werden. Die aktuellen MaKo-Prozesse sehen jedoch keine automatisierte Handhabung solcher hybriden Rollen vor.

  • Datenvolumen und -frequenz: Während Großkraftwerke monatliche oder jährliche Abrechnungsdaten liefern, erfordern dezentrale Anlagen Echtzeit- oder zumindest viertelstündliche Daten für die Bilanzkreisbewirtschaftung, die Netzstabilität und die Abrechnung von Flexibilitätsmärkten. Die GPKE sieht zwar viertelstündliche Messwerte vor, jedoch sind die Prozesse für deren Verarbeitung (z. B. Aggregation, Plausibilisierung) nicht auf die Skalierung durch Millionen von Prosumern ausgelegt.

  • Bidirektionale Datenflüsse: Die klassische MaKo geht von einer Top-down-Kommunikation aus (z. B. Lieferant → Netzbetreiber → Kunde). Prosumer benötigen jedoch bidirektionale Schnittstellen, um Einspeisung, Verbrauch und Flexibilitätsangebote dynamisch zu steuern. Dies kollidiert mit den starren, batchorientierten Prozessen der MaKo (z. B. EDIFACT-Nachrichten wie UTILMD oder MSCONS), die für manuelle oder halbautomatische Abwicklung konzipiert sind.


2. Technische und prozessuale Anpassungsbedarfe

Um die Marktkommunikation fit für die Dezentralisierung zu machen, sind folgende Änderungen erforderlich:

a) Standardisierung flexibler Datenformate

  • Erweiterung der MaKo-Nachrichten: Die bestehenden EDIFACT-Formate (z. B. UTILMD für Stammdaten, MSCONS für Messwerte) müssen um neue Datenelemente ergänzt werden, die Prosumer-spezifische Informationen abbilden (z. B. Einspeiseprofile, Speicherzustände, Flexibilitätsangebote). Ein Beispiel ist die Einführung von „Prosumer-Kennungen“ in den Stammdaten, um hybride Rollen eindeutig zuzuordnen.
  • Echtzeitfähige Protokolle: Für dynamische Flexibilitätsmärkte (z. B. Redispatch 2.0, lokale Energiegemeinschaften) sind API-basierte Schnittstellen (z. B. REST, MQTT) notwendig, die in Echtzeit Daten austauschen können. Die MaKo sieht solche Protokolle bisher nicht vor, was zu Medienbrüchen führt (z. B. manuelle Eingabe von Flexibilitätsangeboten in Portale).

b) Automatisierung und Skalierung der Prozesse

  • Aggregation dezentraler Daten: Die Vielzahl kleiner Erzeugungsanlagen führt zu einem exponentiellen Anstieg der Datenmenge. Netzbetreiber und Bilanzkreisverantwortliche benötigen automatisierte Aggregationsplattformen, die Messwerte aus Smart Metern, Wechselrichtern und Speichern zusammenführen, plausibilisieren und für die Abrechnung aufbereiten. Die GPKE sieht hierfür keine standardisierten Prozesse vor.
  • Dynamische Bilanzkreisbewirtschaftung: Prosumer können ihre Einspeisung und ihren Verbrauch kurzfristig anpassen (z. B. durch Speichersteuerung). Dies erfordert flexiblere Bilanzkreisverträge, die nicht mehr nur monatlich, sondern tages- oder stundenweise angepasst werden können. Die aktuellen MaKo-Prozesse sind hierfür zu träge.

c) Rechtliche Klarheit für neue Marktrollen

  • Definition von „Prosumer-Verträgen“: Die GPKE kennt keine spezifischen Vertragstypen für Prosumer. Es fehlen Regelungen zu:
    • Einspeise- und Bezugsabrechnung (z. B. wie Netzentgelte bei Eigenverbrauch berechnet werden),
    • Flexibilitätsvermarktung (z. B. wer für die Abrechnung von Redispatch-Leistungen zuständig ist),
    • Datenhoheit (z. B. wer auf die Messdaten von Prosumern zugreifen darf).
  • Haftung bei Datenfehlern: Bei bidirektionalen Datenflüssen steigt das Risiko von Fehlbuchungen (z. B. falsche Einspeisemengen). Die MaKo sieht keine klaren Verantwortlichkeiten für solche Fälle vor, was zu rechtlichen Unsicherheiten führt.

3. Lösungsansätze und regulatorische Entwicklungen

Die Bundesnetzagentur (BNetzA) und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) arbeiten an Anpassungen der MaKo und GPKE, um die Dezentralisierung zu berücksichtigen. Geplante Maßnahmen umfassen:

  • MaKo 2.0 (ab 2026): Einführung neuer Nachrichtenformate für Flexibilitätsmärkte und lokale Energiegemeinschaften, sowie die schrittweise Ablösung von EDIFACT durch moderne Datenstandards (z. B. CIM – Common Information Model).
  • Digitalisierung der Marktkommunikation: Verpflichtende Einführung von API-Schnittstellen für Netzbetreiber und Lieferanten, um Echtzeitdaten auszutauschen. Dies soll die Skalierung für Millionen von Prosumern ermöglichen.
  • Pilotprojekte für Prosumer-Integration: In Modellregionen (z. B. „SINTEG“-Projekte) werden automatisierte Prosumer-Plattformen getestet, die Messdaten, Flexibilitätsangebote und Abrechnungsprozesse bündeln. Die Erkenntnisse fließen in die Weiterentwicklung der MaKo ein.

4. Fazit: Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels

Die Dezentralisierung der Energieerzeugung erfordert einen fundamentalen Wandel der Marktkommunikation – weg von starren, batchorientierten Prozessen hin zu flexiblen, automatisierten und bidirektionalen Datenflüssen. Die regulatorischen Vorgaben (MaKo, GPKE) müssen hierfür:

  1. technisch modernisiert werden (Echtzeitfähigkeit, API-Schnittstellen),
  2. prozessual angepasst werden (hybride Rollen, dynamische Bilanzkreise),
  3. rechtlich präzisiert werden (Datenhoheit, Haftung, Vertragstypen).

Ohne diese Anpassungen drohen Ineffizienzen (z. B. manuelle Datenpflege), Rechtsunsicherheiten (z. B. bei Flexibilitätsverträgen) und Netzengpässe (durch unkoordinierte Einspeisung). Die Energiewende kann nur gelingen, wenn die Marktkommunikation mit der technischen Realität Schritt hält.


Quellen: Bundesnetzagentur (MaKo-Richtlinien), BDEW (GPKE), SINTEG-Pilotprojekte, EEG 2023 Stand: September 2025