Einfluss hierarchischer Feldstrukturen in EDIFACT auf die Risikoverteilung bei Lieferantenwechseln und Netzanschlussprozessen
1. Hierarchische Feldtypen in EDIFACT und ihre rechtliche Relevanz
EDIFACT-Nachrichten (z. B. im Rahmen der GPKE für Strom oder GeLi Gas) basieren auf einer klaren Unterscheidung zwischen Muss- (M), Bedingungs- (C) und Optional-Feldern (O/D). Diese Hierarchie bestimmt die Verantwortungs- und Risikoverteilung zwischen Marktpartnern (Lieferanten, Netzbetreibern, Messstellenbetreibern) bei Prozessen wie:
- Lieferantenwechsel (z. B. Wechselmeldungen via
UTILMD), - Netzanschlussprozesse (z. B.
CONTRL- oderAPERAK-Nachrichten), - Störungsmanagement (z. B.
MSCONS-Ablehnungen).
1.1 Muss-Felder (Mandatory – M)
- Definition: Pflichtangaben, deren Fehlen oder fehlerhafte Befüllung zur automatischen Ablehnung der Nachricht führt (z. B.
BGM+313für eine Wechselmeldung). - Risikoverteilung:
- Der Sender trägt das volle Risiko für die korrekte Übermittlung. Fehlt ein Muss-Feld, gilt die Nachricht als nicht empfangen (vgl. § 4 Abs. 2 GPKE).
- Der Empfänger ist berechtigt, die Nachricht ohne weitere Prüfung zurückzuweisen, was zu Verzögerungen im Prozess (z. B. verspätete Lieferantenwechsel) oder Vertragsstrafen führen kann.
- Beispiel: Das
DTM-Segment mit Qualifier137(Dokumentendatum) ist in vielen MIGs als R (Required) eingestuft. Fehlt es, scheitert die Validierung bereits auf syntaktischer Ebene.
1.2 Bedingte Felder (Conditional – C)
- Definition: Felder, deren Pflichtcharakter von vorherigen Segmenten oder Geschäftsregeln abhängt (z. B.
DTM+137nur bei bestimmten Nachrichtentypen). - Risikoverteilung:
- Interpretationsspielraum: Bedingte Felder führen häufig zu unterschiedlichen Auslegungen der Marktpartner. Beispiel:
- Ein Netzbetreiber interpretiert ein
C-Feld als implizit erforderlich, während der Lieferant es als optional behandelt. - Dies kann zu manuellen Nachbearbeitungen oder Ablehnungen führen, obwohl die Nachricht technisch korrekt ist.
- Ein Netzbetreiber interpretiert ein
- Haftungsfrage: Bei fehlerhafter Befüllung liegt das Risiko beim Sender, sofern die Bedingung (z. B. ein vorheriges
RFF-Segment) erfüllt war. Fehlt die Bedingung, ist das Feld irrelevant.
- Interpretationsspielraum: Bedingte Felder führen häufig zu unterschiedlichen Auslegungen der Marktpartner. Beispiel:
- Beispiel: Das
DTM-Segment mit Qualifier361(Ablehnungsdatum) ist nur erforderlich, wenn zuvor einAPERAK-Segment mit Ablehnungsgrund (ERC+12) gesendet wurde.
1.3 Optionale Felder (Optional – O / Dependent – D)
- Definition: Felder, die freiwillig oder nur in bestimmten Kontexten genutzt werden (z. B.
FTXfür Freitextkommentare). - Risikoverteilung:
- Keine direkte Haftung, aber prozessuale Risiken:
- Fehlende optionale Felder können zu Nachfragen führen, die den Prozess verzögern.
- Bei regulatorischen Anforderungen (z. B. Nachweispflichten nach EnWG) kann die Nichtnutzung optionaler Felder als mangelnde Sorgfalt ausgelegt werden.
- Beispiel: Ein
NAD-Segment mit Lieferantenreferenz (3035=SU) ist oft optional, aber für die eindeutige Identifikation im Störungsfall relevant.
- Keine direkte Haftung, aber prozessuale Risiken:
2. Prozessuale Sicherheitsmechanismen zur Compliance-Sicherung
Um regulatorische Vorgaben (GPKE, GeLi Gas, MaBiS) trotz unterschiedlicher Feldinterpretationen einzuhalten, sind mehrstufige Validierungs- und Eskalationsprozesse erforderlich:
2.1 Technische Validierungsebenen
| Ebene | Zweck | Beispiel |
|---|---|---|
| Syntaktische Prüfung | Sicherstellung der EDIFACT-Konformität (Muss-Felder, Segmentreihenfolge). | Ablehnung bei fehlendem BGM-Segment oder falschem Datumsformat (DTM+137). |
| Semantische Prüfung | Überprüfung der logischen Abhängigkeiten (C-Felder). | Validierung, ob DTM+361 nur bei vorherigem APERAK mit ERC+12 gesendet wird. |
| Geschäftsregel-Check | Einhaltung marktprozessspezifischer Vorgaben (z. B. GPKE). | Prüfung, ob ein Lieferantenwechsel (UTILMD) innerhalb der Fristen erfolgt. |
2.2 Organisatorische Maßnahmen
Klare MIG-Dokumentation
- Verbindliche Festlegung der Feldabhängigkeiten in den Message Implementation Guides (MIGs).
- Beispiel: Im BDEW-MIG muss explizit definiert sein, unter welchen Bedingungen ein
DTM-Segment mit Qualifier137als R (Required) gilt.
Automatisierte Plausibilitätsprüfungen
- Regelbasierte Systeme (z. B. EDI-Gateways) müssen Bedingungslogiken abbilden.
- Beispiel: Ein
DTM+137darf nicht älter als 3 Tage sein, wenn es in einerUTILMD-Nachricht für einen Lieferantenwechsel verwendet wird.
Eskalationsprozesse bei Abweichungen
- Stufenweise Bearbeitung:
- Automatische Ablehnung bei Muss-Feld-Fehlern.
- Manuelle Prüfung bei Bedingungsfeld-Abweichungen (z. B. durch ein Clearing-Center).
- Fristgebundene Klärung (z. B. innerhalb von 2 Werktagen nach § 5 GPKE).
- Stufenweise Bearbeitung:
Audit-Trails und Nachweispflichten
- Protokollierung aller Validierungsschritte (z. B. in
CONTRL-Nachrichten). - Beispiel: Bei einer Ablehnung muss der Netzbetreiber den genauen Grund (
APERAK+ERC) dokumentieren, um Beweispflichten nach § 44 EnWG zu erfüllen.
- Protokollierung aller Validierungsschritte (z. B. in
Marktpartner-übergreifende Testverfahren
- Pilotphasen vor der Einführung neuer MIG-Versionen, um Interpretationskonflikte frühzeitig zu identifizieren.
- Beispiel: Der BDEW führt vor der Veröffentlichung einer MIG-Änderung Round-Trip-Tests mit ausgewählten Marktpartnern durch.
3. Regulatorische Compliance und Haftungsfragen
Die Einhaltung der GPKE (Strom) und GeLi Gas erfordert:
- Eindeutige Verantwortungszuweisung:
- Der Sender haftet für die korrekte Befüllung aller Muss- und bedingten Felder.
- Der Empfänger muss automatisierte Validierungen durchführen und darf Nachrichten nur bei technischen Fehlern ablehnen (vgl. § 6 Abs. 2 GPKE).
- Dokumentationspflichten:
- Alle Prozessschritte (Validierung, Ablehnung, Klärung) müssen revisionssicher protokolliert werden.
- Beispiel: Bei einer Ablehnung wegen eines fehlenden
DTM-Segments muss der Netzbetreiber dies im Marktkommunikationssystem vermerken.
- Fristenmanagement:
- Verzögerungen durch manuelle Nachbearbeitung müssen vermieden werden, da sie zu Vertragsstrafen führen können (z. B. bei verspäteten Lieferantenwechseln).
4. Fazit und Handlungsempfehlungen
Die hierarchische Struktur von EDIFACT-Feldern führt zu komplexen Risikoverteilungen, die nur durch technische und organisatorische Sicherheitsmechanismen beherrschbar sind. Marktpartner sollten:
- MIGs präzise umsetzen und Feldabhängigkeiten eindeutig dokumentieren.
- Mehrstufige Validierungen (syntaktisch, semantisch, geschäftsregelbasiert) etablieren.
- Eskalationsprozesse für Bedingungsfeld-Abweichungen definieren.
- Regelmäßige Tests durchführen, um Interpretationskonflikte zu minimieren.
- Audit-Trails für regulatorische Nachweise nutzen.
Durch diese Maßnahmen lässt sich die Compliance mit GPKE, GeLi Gas und EnWG sicherstellen, während gleichzeitig Prozessrisiken zwischen den Marktpartnern fair verteilt werden.