Willi Mako
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Fehlende Referenzierung in Energiesystemen: Risiken & Lösungen

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TAGS [EDIFACT][LIEFERANTENWECHSEL][PROZESS][GPKE][BILANZ][ZUORDNUNG][BILANZKREIS][FEHLERBEHANDLUNG]

Einfluss fehlender Referenzierung von Geschäftsvorfällen in verteilten Energiewirtschaftssystemen auf die prozessuale Integrität und notwendige Eskalationsmechanismen

1. Auswirkungen auf die prozessuale Integrität

In verteilten Systemen der Energiewirtschaft – insbesondere bei der Abwicklung von Marktprozessen wie Lieferantenwechsel, Bilanzkreisabrechnung oder Netzabrechnung – ist die eindeutige Referenzierung von Geschäftsvorfällen (z. B. über Tupel wie Nachrichtentyp, Geschäftsvorfall-ID, Referenz-ID) essenziell für die Datenkonsistenz, Nachvollziehbarkeit und regulatorische Compliance. Fehlt eine solche Referenzierung oder liegt ein referenzierter Geschäftsvorfall beim Empfänger nicht vor, ergeben sich folgende Risiken für die prozessuale Integrität:

1.1 Verlust der Datenkonsistenz und Prozessunterbrechungen

  • Asynchrone Datenflüsse in verteilten Systemen (z. B. zwischen Lieferanten, Netzbetreibern, Bilanzkreisverantwortlichen und Marktgebietsverantwortlichen) erfordern eine eindeutige Zuordnung von Nachrichten zu Geschäftsvorfällen.
  • Fehlt eine Referenz (z. B. weil ein vorangegangener Geschäftsvorfall nicht korrekt übermittelt oder verarbeitet wurde), kann der Empfänger die Nachricht nicht eindeutig zuordnen, was zu:
    • Doppelerfassungen (z. B. Mehrfachabrechnung desselben Vorgangs),
    • Fehlinterpretationen (z. B. falsche Zuordnung von Lieferantenwechseln),
    • Prozessabbrüchen (z. B. Abbruch einer Bilanzkreisabrechnung wegen fehlender Stammdaten) führt.
  • Besonders kritisch ist dies bei zeitkritischen Prozessen wie der GPKE (Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität) oder MaBiS (Marktregeln für die Durchführung der Bilanzkreisabrechnung Strom), wo fehlende Referenzen zu Abrechnungsfehlern und regulatorischen Verstößen führen können.

1.2 Beeinträchtigung der Nachvollziehbarkeit und Auditierbarkeit

  • Regulatorische Vorgaben (z. B. EnWG, StromNZV, MaBiS, GPKE) verlangen eine lückenlose Dokumentation aller Geschäftsvorfälle.
  • Fehlende Referenzen erschweren die Rückverfolgbarkeit von Prozessen, da:
    • Korrekturen oder Stornierungen nicht eindeutig zugeordnet werden können,
    • Prüfungen durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) oder andere Aufsichtsbehörden erschwert werden,
    • Streitfälle (z. B. bei Rechnungsdifferenzen) nicht nachweisbar geklärt werden können.
  • Dies erhöht das Compliance-Risiko, da im Falle einer Prüfung fehlende oder inkonsistente Daten als Verstoß gegen die Marktregeln gewertet werden können.

1.3 Erhöhtes operatives Risiko und manuelle Nacharbeit

  • Fehlende Referenzen führen zu manuellen Klärungsprozessen, die:
    • Zeit- und kostenintensiv sind (z. B. durch manuelle Abstimmung zwischen Marktpartnern),
    • Fehleranfällig bleiben, da menschliche Eingriffe zusätzliche Risiken bergen,
    • Prozessverzögerungen verursachen (z. B. verspätete Lieferantenwechsel oder Abrechnungen).
  • Besonders betroffen sind automatisierte Prozesse (z. B. EDIFACT-basierte Nachrichtenübermittlung), bei denen fehlende Referenzen zu Systemabstürzen oder falschen Weiterverarbeitungen führen können.

2. Notwendige Eskalationsmechanismen zur Sicherstellung der Compliance

Um trotz asynchroner Datenflüsse und fehlender Referenzen die regulatorische Compliance (MaBiS, GPKE, EnWG) sicherzustellen, sind technische, organisatorische und prozessuale Eskalationsmechanismen erforderlich. Diese müssen automatisiert, nachvollziehbar und mit klaren Verantwortlichkeiten umgesetzt werden.

2.1 Technische Eskalationsmechanismen

a) Automatisierte Plausibilitätsprüfungen und Fehlermeldungen

  • Echtzeit-Validierung von Nachrichten auf:
    • Vollständigkeit der Referenzangaben (z. B. Prüfung, ob alle Tupel-Elemente vorhanden sind),
    • Konsistenz der Referenzen (z. B. ob eine referenzierte Geschäftsvorfall-ID tatsächlich existiert),
    • Zeitliche Abfolge (z. B. ob ein Folgeprozess erst nach Abschluss des Vorgängerprozesses gestartet wird).
  • Automatisierte Fehlermeldungen (z. B. via EDIFACT-ACK/NACK oder REST-API-Fehlercodes) an den Sender, wenn:
    • Eine Referenz nicht aufgelöst werden kann,
    • Ein Geschäftsvorfall nicht im System des Empfängers vorliegt,
    • Eine Nachricht inkonsistente Daten enthält.
  • Quarantäne-Mechanismen für fehlerhafte Nachrichten, um eine automatische Weiterverarbeitung zu verhindern und manuelle Klärung zu ermöglichen.

b) Referenzdatenbanken und Historisierung

  • Zentrale Referenzdatenbanken (z. B. bei Marktgebietsverantwortlichen oder Clearingstellen), die:
    • Alle Geschäftsvorfälle mit ihren Referenzen speichern,
    • Eine eindeutige ID-Vergabe sicherstellen (z. B. durch UUIDs oder sequenzielle Nummern),
    • Historische Abfragen ermöglichen, um fehlende Referenzen nachträglich zu klären.
  • Versionierung von Geschäftsvorfällen, um Änderungen nachvollziehbar zu machen (z. B. bei Stornierungen oder Korrekturen).

c) Asynchrone Bestätigungs- und Rückfragemechanismen

  • Zweistufige Bestätigungsprozesse:
    1. Technische Bestätigung (z. B. EDIFACT-CONTRL), dass eine Nachricht empfangen wurde.
    2. Inhaltliche Bestätigung (z. B. EDIFACT-APERAK), dass der Geschäftsvorfall verarbeitet werden konnte.
  • Automatisierte Rückfragen bei fehlenden Referenzen:
    • Systemseitige Anforderung an den Sender, den fehlenden Geschäftsvorfall nachzureichen,
    • Zeitgesteuerte Eskalation, falls keine Antwort erfolgt (z. B. nach 24 Stunden).

2.2 Organisatorische Eskalationsmechanismen

a) Klare Verantwortlichkeiten und SLA-Vereinbarungen

  • Rollenbasierte Verantwortlichkeiten (z. B. "Referenzverantwortlicher" bei Marktpartnern), die:
    • Für die Korrektheit und Vollständigkeit von Referenzen zuständig sind,
    • Fehler melden und klären (z. B. über definierte Eskalationspfade).
  • Service Level Agreements (SLAs) für die Bearbeitung von Referenzfehlern, z. B.:
    • Priorisierung nach Kritikalität (z. B. Abrechnungsrelevanz),
    • Maximale Bearbeitungszeiten (z. B. 48 Stunden für nicht-kritische Fehler).

b) Dokumentierte Eskalationspfade

  • Stufenweise Eskalation bei fehlenden Referenzen:
    1. Automatisierte Meldung an den zuständigen Sachbearbeiter,
    2. Manuelle Klärung zwischen den Marktpartnern (z. B. per E-Mail oder Ticket-System),
    3. Eskalation an die Geschäftsführung, falls keine Lösung gefunden wird,
    4. Meldung an die BNetzA oder den Marktgebietsverantwortlichen, falls regulatorische Risiken bestehen.
  • Zentrale Anlaufstellen (z. B. Clearingstellen oder Marktkommunikationsplattformen), die bei wiederkehrenden Referenzproblemen koordinierend eingreifen.

c) Regelmäßige Audits und Schulungen

  • Interne und externe Audits, um:
    • Systematische Fehlerquellen (z. B. fehlerhafte Schnittstellen) zu identifizieren,
    • Compliance mit MaBiS/GPKE sicherzustellen.
  • Schulungen für Mitarbeiter, um:
    • Die Bedeutung von Referenzen zu vermitteln,
    • Fehler frühzeitig zu erkennen und zu melden.

2.3 Prozessuale Eskalationsmechanismen

a) Standardisierte Fehlerbehandlungsprozesse

  • Vordefinierte Workflows für die Behandlung fehlender Referenzen, z. B.:
    • Automatische Stornierung und Neuübermittlung bei technischen Fehlern,
    • Manuelle Korrektur bei inhaltlichen Fehlern,
    • Protokollierung aller Schritte für spätere Audits.
  • Fallback-Mechanismen für kritische Prozesse (z. B. temporäre manuelle Erfassung, bis die Referenz geklärt ist).

b) Regulatorische Meldepflichten

  • Verpflichtende Meldung an die BNetzA, falls:
    • Wiederkehrende Referenzfehler auf systematische Probleme hindeuten,
    • Abrechnungsrelevante Daten betroffen sind,
    • Fristen für die Klärung überschritten werden.
  • Dokumentation aller Eskalationsschritte, um im Streitfall Nachweispflichten zu erfüllen.

c) Kontinuierliche Prozessoptimierung

  • Auswertung von Fehlerstatistiken, um:
    • Häufige Fehlerquellen zu identifizieren (z. B. bestimmte Marktpartner oder Nachrichtentypen),
    • Prozessanpassungen vorzunehmen (z. B. strengere Validierungsregeln).
  • Feedback-Schleifen mit Marktpartnern, um gemeinsame Lösungen für Referenzprobleme zu entwickeln.

3. Fazit und Handlungsempfehlungen

Die fehlende Referenzierung von Geschäftsvorfällen in verteilten Energiewirtschaftssystemen stellt ein erhebliches Risiko für die prozessuale Integrität und regulatorische Compliance dar. Um die MaBiS-, GPKE- und EnWG-konforme Abwicklung sicherzustellen, sind folgende Maßnahmen erforderlich:

Technisch:

  • Automatisierte Plausibilitätsprüfungen mit Fehlermeldungen,
  • Zentrale Referenzdatenbanken mit Historisierung,
  • Asynchrone Bestätigungs- und Rückfragemechanismen.

Organisatorisch:

  • Klare Verantwortlichkeiten mit SLAs,
  • Dokumentierte Eskalationspfade,
  • Regelmäßige Audits und Schulungen.

Prozessual:

  • Standardisierte Fehlerbehandlung,
  • Regulatorische Meldepflichten bei kritischen Fehlern,
  • Kontinuierliche Prozessoptimierung.

Durch die kombinierte Umsetzung dieser Maßnahmen können Marktteilnehmer Datenkonsistenz, Nachvollziehbarkeit und Compliance auch in asynchronen, verteilten Systemen sicherstellen. Eine proaktive Fehlererkennung und -behebung minimiert dabei nicht nur regulatorische Risiken, sondern auch operative Kosten und Prozessverzögerungen.