Willi Mako
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Manuelle Abstimmungen im EDI: Skalierbarkeit & Fehlerrisiko

ID#BD0-17
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TAGS [EDIFACT][LIEFERANTENWECHSEL][PROZESS][BILANZ][ZUORDNUNG][BILANZKREIS][FEHLERBEHANDLUNG]

Einfluss vorgelagerter manueller Abstimmungen auf Skalierbarkeit und Fehleranfälligkeit im elektronischen Datenaustausch der Energiewirtschaft

1. Auswirkungen auf Skalierbarkeit

Die vorgelagerte manuelle Abstimmung (z. B. per Telefon) stellt einen kritischen Flaschenhals im elektronischen Datenaustausch (EDI) der Energiewirtschaft dar. Sie beeinträchtigt die Skalierbarkeit in folgenden Dimensionen:

  • Zeitliche Verzögerungen: Manuelle Vorabklärungen erfordern personelle Ressourcen und führen zu asynchronen Kommunikationsprozessen. Bei steigendem Datenvolumen (z. B. durch zunehmende Marktkommunikation im Rahmen der Energiewende) wächst der Koordinationsaufwand linear – oder sogar überproportional, wenn mehrere Parteien involviert sind. Dies steht im Widerspruch zu den Anforderungen an Echtzeit- oder Near-Real-Time-Prozesse, wie sie etwa für die Bilanzkreisabrechnung oder die Netzsteuerung erforderlich sind.

  • Ressourcenbindung: Die Abhängigkeit von manuellen Schritten bindet qualifiziertes Personal, das für strategische Aufgaben (z. B. Prozessoptimierung, Fehleranalyse) fehlt. Besonders problematisch ist dies in hochautomatisierten Umgebungen, in denen EDI-Systeme eigentlich eine durchgängige Digitalisierung ermöglichen sollen.

  • Skalierbarkeitsgrenzen: Während elektronische Systeme theoretisch unbegrenzte Transaktionsvolumina verarbeiten können, ist die manuelle Abstimmung nicht linear skalierbar. Bei einer Verdopplung der Marktteilnehmer oder Transaktionen verdoppelt sich mindestens der Abstimmungsaufwand – ein Effekt, der in stark wachsenden Märkten (z. B. durch dezentrale Erzeuger oder Elektromobilität) zu Engpässen führt.


2. Erhöhte Fehleranfälligkeit

Manuelle Prozesse sind per se fehleranfälliger als automatisierte Abläufe. Im Kontext des EDI in der Energiewirtschaft ergeben sich folgende Risiken:

  • Medienbrüche und Übertragungsfehler: Informationen, die telefonisch oder per E-Mail ausgetauscht werden, müssen anschließend manuell in EDI-Systeme übertragen werden. Dies führt zu Dateninkonsistenzen, etwa durch:

    • Falsche Zuordnung von Absender/Empfänger-IDs,
    • Abweichungen in Formatvorgaben (z. B. EDIFACT-Segmente),
    • Fehlende oder unvollständige Metadaten (z. B. Zeitstempel, Referenznummern).
  • Menschliche Fehlerquellen: Typische Fehler umfassen:

    • Verwechslung von Datensätzen (z. B. bei ähnlichen Bilanzkreisnummern),
    • Falsche Interpretation von Regelwerken (z. B. BDEW-Festlegungen zu AS4),
    • Kommunikationslücken (z. B. wenn Rückfragen nicht dokumentiert werden).
  • Nachgelagerte Korrekturaufwände: Fehler, die erst im elektronischen Datenaustausch auffallen, erfordern aufwendige manuelle Nachbearbeitungen (z. B. Stornierungen, Neuanlagen). Dies führt zu:

    • Verzögerungen in der Abrechnung (z. B. bei Lieferantenwechselprozessen),
    • Kosten für manuelle Plausibilitätsprüfungen,
    • Reputationsrisiken (z. B. bei falschen Netzabrechnungen).

3. Regulatorisch zulässige Alternativen zur Reduzierung manueller Vorabklärungen

Die BDEW-Festlegungen (insbesondere „Allgemeine Festlegungen“ und „Regelungen zum Übertragungsweg“) sehen Spielräume für prozessuale Optimierungen vor, die die Abhängigkeit von manuellen Abstimmungen verringern. Zulässige Alternativen umfassen:

a) Automatisierte Vorabprüfung durch technische Schnittstellen

  • Einsatz von Pre-Validation-Tools: Vor dem Versand von EDI-Nachrichten können automatisierte Prüfroutinen (z. B. auf Basis von XSD-Schemata oder BDEW-spezifischen Validierungsregeln) sicherstellen, dass alle Pflichtfelder korrekt befüllt sind. Dies reduziert die Notwendigkeit manueller Rückfragen. Beispiel: Ein Lieferant prüft vor dem Versand einer MSCONS-Nachricht automatisch, ob die Bilanzkreis-ID und der Zeitstempel den BDEW-Vorgaben entsprechen.

  • Standardisierte Metadaten in EDI-Nachrichten: Durch die erweiterte Nutzung von Kopfsegmenten (z. B. UNB/UNH in EDIFACT) können Absenderinformationen maschinenlesbar hinterlegt werden. Dies ermöglicht eine automatische Zuordnung durch den Empfänger, ohne dass eine manuelle Abstimmung erforderlich ist.

b) Nutzung von Masterdaten-Management (MDM)

  • Zentrale Stammdatenregister: Die Einführung verbindlicher Stammdatenpools (z. B. für Bilanzkreis-IDs, Marktpartner-IDs oder Netzanschlussdaten) würde die Notwendigkeit manueller Vorabklärungen reduzieren. Aktuelle Ansätze wie das „Stammdatenregister der Bundesnetzagentur“ (geplant im Rahmen des § 111d EnWG) könnten hier eine Grundlage bieten. Vorteil: Alle Marktteilnehmer greifen auf dieselbe Datenbasis zu, was Inkonsistenzen vermeidet.

  • Automatisierte Stammdatenaktualisierung: Durch Schnittstellen zu zentralen Registern (z. B. Marktstammdatenregister) können EDI-Systeme Änderungen in Echtzeit übernehmen, ohne dass manuelle Eingriffe nötig sind.

c) Erweiterte Nutzung von AS4 und digitalen Signaturen

  • AS4 mit erweiterten Sicherheitsfeatures: Der AS4-Standard (gemäß BDEW-Regelungen) ermöglicht bereits eine vollständig automatisierte Übertragung inkl. Empfangsbestätigungen (Non-Repudiation). Durch die verpflichtende Nutzung digitaler Signaturen (z. B. nach eIDAS-Verordnung) kann die Authentizität des Absenders ohne manuelle Prüfung sichergestellt werden. Praktische Umsetzung: Ein Netzbetreiber akzeptiert nur signierte Nachrichten und lehnt unsignierte oder fehlerhafte Nachrichten automatisch ab.

  • Automatisierte Fehlerbehandlung: Durch vordefinierte Fehlermeldungen (z. B. in Form von APERAK-Nachrichten) können Systeme selbstständig auf Formatfehler reagieren, ohne dass eine manuelle Klärung nötig ist.

d) Prozessuale Standardisierung durch verbindliche Leitfäden

  • Branchenweite Vereinbarungen zu EDI-Prozessen: Die BDEW-Festlegungen könnten um konkrete Handlungsanweisungen ergänzt werden, die den Verzicht auf manuelle Abstimmungen in definierten Fällen erlauben. Beispiel:

    • „Bei Vorliegen einer gültigen Marktpartner-ID und korrekter Formatierung ist eine manuelle Vorabklärung nicht erforderlich.“
    • „Automatisierte Plausibilitätsprüfungen ersetzen manuelle Rückfragen, sofern die Fehlerquote unter X % liegt.“
  • Pilotprojekte für vollautomatisierte Prozesse: Die Regulierungsbehörden könnten Testumgebungen fördern, in denen Marktteilnehmer unter Aufsicht der BNetzA vollständig automatisierte EDI-Prozesse erproben (z. B. für Lieferantenwechsel oder Bilanzkreisabrechnung).


4. Fazit und Handlungsempfehlungen

Die vorgelagerte manuelle Abstimmung ist ein strukturelles Hindernis für die Skalierbarkeit und Zuverlässigkeit des elektronischen Datenaustauschs in der Energiewirtschaft. Durch folgende Maßnahmen kann die Abhängigkeit reduziert werden:

  1. Technische Automatisierung:

    • Einführung von Pre-Validation-Tools und erweiterten Metadaten in EDI-Nachrichten.
    • Verpflichtende Nutzung von AS4 mit digitalen Signaturen.
  2. Stammdatenmanagement:

    • Aufbau zentraler, verbindlicher Stammdatenregister.
    • Automatisierte Synchronisation mit Marktstammdatenregistern.
  3. Regulatorische Klarstellungen:

    • Präzisierung der BDEW-Festlegungen, um manuelle Abstimmungen in definierten Fällen entbehrlich zu machen.
    • Förderung von Pilotprojekten für vollautomatisierte Prozesse.
  4. Prozessuale Standardisierung:

    • Branchenweite Vereinbarungen zu automatisierten Fehlerbehandlungsroutinen.
    • Definition von Schwellenwerten, ab denen manuelle Prüfungen entfallen können.

Eine schrittweise Umsetzung dieser Maßnahmen würde die Effizienz des EDI deutlich steigern, ohne die regulatorischen Vorgaben zu verletzen. Langfristig sollte das Ziel sein, manuelle Eingriffe auf Ausnahmesituationen (z. B. Systemausfälle) zu beschränken.