Willi Mako
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MSCONS-Attribute & Stromsparte: Flexibilität vs. Skalierbarkeit

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Einfluss der strikten Kopplung von MSCONS-Nachrichtenattributen (VL/BGM+7) an die Sparte Strom auf Flexibilität und Skalierbarkeit von Marktprozessen

1. Grundlagen der Attributkopplung in MSCONS

Die im Anwendungshandbuch (APERAK, Version 1.0, Stand 30.09.2025) definierte Kopplung der MSCONS-Nachrichtenattribute VL (Verarbeitungslogik) und BGM+7 (Nachrichtenfunktion „Abrechnungsdaten“) an die Sparte Strom stellt eine technische und prozessuale Festlegung dar. Diese Regelung beschränkt die Gültigkeit bestimmter Prüfroutinen und Datenvalidierungen ausschließlich auf Strom-bezogene MSCONS-Nachrichten. Während diese Spezialisierung für den etablierten Strommarkt Effizienzvorteile bietet, wirft sie Fragen zur Anpassungsfähigkeit des Systems bei der Integration neuer Energieträger oder hybrider Versorgungsmodelle auf.


2. Auswirkungen auf die Flexibilität

2.1 Einschränkung bei der Einführung neuer Energieträger

Die strikte Bindung der Attribute an die Sparte Strom führt zu folgenden Herausforderungen:

  • Technische Inkompatibilität: Neue Energieträger (z. B. Wasserstoff, Biogas oder sektorgekoppelte Lösungen wie Power-to-Gas) erfordern oft abweichende Datenstrukturen oder Validierungslogiken. Da die Prüfroutinen für VL/BGM+7 nur für Strom definiert sind, müssten für andere Sparten parallele Implementierungen geschaffen werden. Dies erhöht den Entwicklungsaufwand und verzögert die Markteinführung.
  • Prozessuale Rigidität: Hybride Modelle (z. B. kombinierte Strom- und Gaslieferverträge) setzen voraus, dass MSCONS-Nachrichten spartenübergreifend verarbeitet werden können. Die aktuelle Regelung erzwingt jedoch eine separate Behandlung der Datenströme, was zu Medienbrüchen und manuellen Nacharbeiten führt.
  • Fehlende Standardisierung: Ohne eine spartenneutrale Definition der Attribute besteht das Risiko, dass für jeden neuen Energieträger individuelle Anpassungen der EDI-Schnittstellen (Electronic Data Interchange) erforderlich werden. Dies widerspricht dem Ziel einer einheitlichen Marktkommunikation.

2.2 Hindernisse für innovative Versorgungsmodelle

Moderne Versorgungsmodelle wie Mieterstrom, Quartierslösungen oder dynamische Tarife basieren auf einer flexiblen Abrechnung und der Integration verschiedener Energieträger. Die aktuelle Attributkopplung erschwert dies durch:

  • Fehlende Mehrspartenfähigkeit: MSCONS-Nachrichten mit VL/BGM+7 können keine kombinierten Abrechnungsdaten (z. B. Strom + Wärme) transportieren, ohne die Validierungsregeln zu verletzen. Dies erfordert Workarounds (z. B. separate Nachrichten pro Sparte), die die Komplexität erhöhen.
  • Dynamische Tarifanpassungen: Bei zeitvariablen Tarifen oder Lastmanagement-Systemen müssen Abrechnungsdaten oft in Echtzeit oder mit hoher Frequenz übermittelt werden. Die Strom-spezifische Attributbindung limitiert die Skalierbarkeit solcher Prozesse, da sie keine generischen Datenformate für andere Sparten vorsieht.

3. Skalierbarkeitsprobleme

3.1 Erhöhter Implementierungsaufwand

Die Einführung neuer Energieträger oder hybrider Modelle erfordert:

  • Doppelte Infrastruktur: Da die Prüfroutinen für VL/BGM+7 nur für Strom gelten, müssen für andere Sparten eigene Validierungsmechanismen entwickelt werden. Dies führt zu Redundanzen in der IT-Architektur und erhöht die Wartungskosten.
  • Schulungsbedarf: Marktteilnehmer müssen ihre Systeme für sparenspezifische MSCONS-Nachrichten anpassen, was Schulungen und Testaufwände nach sich zieht. Bei einer spartenübergreifenden Lösung wäre dieser Aufwand geringer.

3.2 Langfristige Marktfragmentierung

Die aktuelle Regelung begünstigt eine Silo-Bildung der Marktprozesse:

  • Getrennte Datenflüsse: Strom- und Nicht-Strom-Sparten werden in separaten Systemen verarbeitet, was die Datenkonsistenz erschwert (z. B. bei der Abrechnung von Kombi-Produkten).
  • Hemmnis für Digitalisierung: Eine spartenübergreifende Automatisierung (z. B. durch KI-gestützte Abrechnungssysteme) wird durch die technische Trennung der Nachrichtenformate behindert.

4. Mögliche Lösungsansätze

Um die Flexibilität und Skalierbarkeit zu verbessern, könnten folgende Maßnahmen ergriffen werden:

  1. Spartenübergreifende Attributdefinition:

    • Die Attribute VL und BGM+7 sollten generisch definiert werden, sodass sie für alle Energieträger (Strom, Gas, Wärme, Wasserstoff etc.) anwendbar sind.
    • Beispiel: Eine erweiterte Validierungslogik, die spartenspezifische Regeln dynamisch lädt, statt sie fest zu kodieren.
  2. Modulare Prüfroutinen:

    • Einführung eines Plug-in-Systems, das es erlaubt, Validierungsregeln je nach Sparte oder Geschäftsmodell zu aktivieren.
    • Beispiel: Ein „Hybrid-Modus“ für MSCONS, der kombinierte Abrechnungsdaten (Strom + Gas) verarbeitet.
  3. Standardisierung durch Brancheninitiativen:

    • Zusammenarbeit mit Gremien wie der Bundesnetzagentur (BNetzA) oder EDI@Energy, um spartenübergreifende Standards zu entwickeln.
    • Beispiel: Ein neues MSCONS-Profil für hybride Versorgungsmodelle, das die aktuellen Einschränkungen überwindet.
  4. Pilotprojekte für neue Energieträger:

    • Testumgebungen für Wasserstoff oder Power-to-Gas, um die Kompatibilität der MSCONS-Strukturen zu evaluieren und Anpassungen vorzunehmen.

5. Fazit

Die aktuelle Kopplung der MSCONS-Attribute VL/BGM+7 an die Sparte Strom bietet zwar Prozesssicherheit für den etablierten Strommarkt, schränkt jedoch die Flexibilität und Skalierbarkeit bei der Einführung neuer Energieträger oder hybrider Modelle erheblich ein. Die technische Rigidität führt zu erhöhtem Implementierungsaufwand, fragmentierten Datenflüssen und einer verzögerten Digitalisierung des Energiemarktes.

Eine generische, spartenübergreifende Definition der Attribute sowie modulare Prüfroutinen wären notwendig, um die Marktprozesse zukunftsfähig zu gestalten. Ohne solche Anpassungen besteht das Risiko, dass der Energiemarkt in isolierte Teilmärkte zerfällt, was die Integration innovativer Versorgungsmodelle erschwert. Die Weiterentwicklung der MSCONS-Standards sollte daher priorisiert werden, um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Energiesystems zu sichern.