Einfluss der Differenzierung zwischen prüfungsrelevanten und prüfungsfreien Prozessschritten auf Fehlerfortpflanzung und Verantwortungsabgrenzung
1. Grundlagen der Verarbeitbarkeitsprüfung und Prozessschrittdifferenzierung
Die Verarbeitbarkeitsprüfung dient der technischen und inhaltlichen Validierung von Geschäftsvorfällen im elektronischen Datenaustausch (EDI). Dabei wird zwischen prüfungsrelevanten und prüfungsfreien Prozessschritten unterschieden:
- Prüfungsrelevante Prozessschritte unterliegen einer Zuordnungsprüfung, bei der die Daten auf formale und inhaltliche Korrektheit geprüft werden. Fehler führen zu einer APERAK-Fehlermeldung (Application Error and Acknowledgement), die an den Absender zurückgesendet wird.
- Prüfungsfreie Prozessschritte werden ohne Zuordnungsprüfung weiterverarbeitet. Hier erfolgt keine unmittelbare Rückmeldung an den Absender, selbst wenn später Fehler auftreten.
Diese Differenzierung hat direkte Auswirkungen auf die Fehlerfortpflanzung und die Verantwortungsabgrenzung zwischen den Marktpartnern, insbesondere im Eskalationsfall.
2. Auswirkungen auf die Fehlerfortpflanzung
2.1 Prüfungsrelevante Prozessschritte: Kontrollierte Fehlererkennung und -begrenzung
Bei prüfungsrelevanten Schritten wird ein Fehler sofort erkannt und gemeldet. Dies verhindert, dass fehlerhafte Daten in nachgelagerte Systeme gelangen und dort weitere Fehler verursachen. Die Fehlerfortpflanzung wird somit unterbrochen, da:
- Der Absender die Möglichkeit erhält, den Fehler zu korrigieren, bevor der Geschäftsvorfall weiterverarbeitet wird.
- Der Empfänger keine fehlerhaften Daten in seine Systeme übernimmt, was Folgefehler (z. B. in Buchhaltung, Logistik oder Produktion) vermeidet.
Beispiel: Ein falsches Lieferdatum in einer Bestellung (ORDERS) wird in der Verarbeitbarkeitsprüfung erkannt und via APERAK zurückgemeldet. Der Absender kann die Bestellung korrigieren, bevor sie in die Produktionsplanung des Empfängers einfließt.
2.2 Prüfungsfreie Prozessschritte: Risiko der unkontrollierten Fehlerfortpflanzung
Bei prüfungsfreien Schritten erfolgt keine unmittelbare Validierung. Fehler werden erst in späteren Verarbeitungsphasen erkannt, was zu folgenden Risiken führt:
- Späte Fehlererkennung: Fehler werden erst bemerkt, wenn sie bereits in nachgelagerte Systeme (z. B. ERP, Warenwirtschaft) übernommen wurden.
- Erhöhte Fehlerkosten: Die Korrektur ist aufwendiger, da bereits Folgeprozesse angestoßen wurden (z. B. falsche Lagerbuchungen, fehlerhafte Rechnungsstellung).
- Dateninkonsistenzen: Fehler können sich über mehrere Systeme hinweg ausbreiten, was zu Inkonsistenzen in Stammdaten oder Transaktionsdaten führt.
Beispiel: Ein nicht geprüfter Lieferschein (DESADV) enthält einen falschen Artikelcode. Da keine Zuordnungsprüfung stattfindet, wird der Fehler erst bei der Wareneingangskontrolle oder der Rechnungsprüfung bemerkt. Bis dahin wurden möglicherweise bereits falsche Lagerbestände aktualisiert oder falsche Zahlungen veranlasst.
3. Verantwortungsabgrenzung im Eskalationsfall
Die Differenzierung zwischen prüfungsrelevanten und prüfungsfreien Schritten hat entscheidende Auswirkungen auf die Haftung und Eskalationswege bei Fehlern:
3.1 Klare Verantwortung bei prüfungsrelevanten Schritten
- Absenderhaftung: Da der Absender eine APERAK-Fehlermeldung erhält, liegt die Verantwortung für die Korrektur eindeutig bei ihm.
- Empfängerentlastung: Der Empfänger kann nachweisen, dass er den Fehler unverzüglich gemeldet hat. Eine Weiterverarbeitung fehlerhafter Daten erfolgt nicht, sodass keine Haftung für Folgefehler entsteht.
- Eskalationsprozess: Bei ausbleibender Korrektur kann der Empfänger den Vorfall eskalieren (z. B. durch Sperrung weiterer Geschäftsvorfälle oder Vertragsstrafen).
3.2 Unklare Verantwortung bei prüfungsfreien Schritten
- Späte Fehlerzuordnung: Da keine unmittelbare Rückmeldung erfolgt, ist oft unklar, wer den Fehler verursacht hat (Absender oder Empfänger).
- Haftungsrisiko für den Empfänger: Wenn der Empfänger den Fehler erst in späteren Prozessschritten bemerkt, muss er nachweisen, dass der Fehler bereits in den ursprünglichen Daten lag und nicht durch seine Systeme verursacht wurde.
- Eskalationskonflikte: Ohne klare Fehlerprotokolle (z. B. APERAK) kommt es häufig zu Streitigkeiten über die Verantwortung, insbesondere wenn:
- Der Absender behauptet, die Daten seien korrekt übermittelt worden.
- Der Empfänger nachweisen muss, dass der Fehler bereits in der ursprünglichen Nachricht lag.
- Dokumentationspflicht: Der Empfänger sollte Protokolle der Datenverarbeitung vorhalten, um im Eskalationsfall nachweisen zu können, dass der Fehler nicht durch seine Systeme entstanden ist.
Beispiel: Ein prüfungsfreier Zahlungsavis (REMADV) enthält einen falschen Betrag. Der Fehler wird erst bei der Rechnungsprüfung bemerkt. Der Empfänger muss nun nachweisen, dass der Fehler nicht durch seine Buchhaltung verursacht wurde, sondern bereits in der ursprünglichen Nachricht lag. Ohne APERAK oder vergleichbare Protokolle ist dies oft schwierig.
4. Empfehlungen für eine klare Verantwortungsabgrenzung
Um die Risiken der Fehlerfortpflanzung und unklarer Haftungsverhältnisse zu minimieren, sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:
Klare Definition prüfungsrelevanter und prüfungsfreier Schritte
- In Rahmenverträgen oder EDI-Vereinbarungen sollte explizit festgelegt werden, welche Prozessschritte einer Prüfung unterliegen und welche nicht.
- Für prüfungsfreie Schritte sollten alternative Kontrollmechanismen (z. B. Stichprobenprüfungen, manuelle Freigaben) vereinbart werden.
Erweiterte Protokollierung bei prüfungsfreien Schritten
- Auch wenn keine APERAK-Meldung erfolgt, sollten Empfänger eine technische Bestätigung (z. B. CONTRL-Nachricht) senden, um den Erhalt der Daten zu dokumentieren.
- Log-Dateien sollten den Eingang und die Weiterverarbeitung der Daten nachvollziehbar machen, um im Eskalationsfall Beweise vorlegen zu können.
Automatisierte Plausibilitätsprüfungen auch bei prüfungsfreien Schritten
- Selbst wenn keine vollständige Zuordnungsprüfung erfolgt, können einfache Plausibilitätschecks (z. B. Formatprüfungen, Referenznummernvalidierung) implementiert werden, um offensichtliche Fehler frühzeitig zu erkennen.
Vereinbarung von Eskalationswegen für prüfungsfreie Schritte
- Es sollte geregelt sein, wie mit Fehlern umgegangen wird, die nach der Verarbeitbarkeitsprüfung auftreten (z. B. durch manuelle Korrekturprozesse oder Rückabwicklung).
- Fristen für die Fehlerbehebung sollten definiert werden, um Verzögerungen zu vermeiden.
Regelmäßige Überprüfung der Prüfungslogik
- Die Einstufung von Prozessschritten als prüfungsrelevant oder prüfungsfrei sollte regelmäßig überprüft werden, um sicherzustellen, dass kritische Schritte nicht fälschlicherweise als prüfungsfrei eingestuft werden.
5. Fazit
Die Differenzierung zwischen prüfungsrelevanten und prüfungsfreien Prozessschritten hat erhebliche Auswirkungen auf die Fehlerfortpflanzung und die Verantwortungsabgrenzung im elektronischen Datenaustausch:
- Prüfungsrelevante Schritte ermöglichen eine kontrollierte Fehlererkennung und -begrenzung, da Fehler sofort gemeldet und korrigiert werden können. Die Verantwortung liegt klar beim Absender.
- Prüfungsfreie Schritte bergen das Risiko der unkontrollierten Fehlerfortpflanzung, da Fehler erst spät erkannt werden. Dies führt zu unklaren Haftungsverhältnissen und erhöhtem Eskalationsaufwand.
Eine klare vertragliche Regelung, erweiterte Protokollierung und alternative Kontrollmechanismen sind entscheidend, um die Risiken zu minimieren und eine faire Verantwortungsabgrenzung zwischen den Marktpartnern zu gewährleisten.