Willi Mako
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Risiken der zeitlichen Asymmetrie in MSCONS-Abrechnungen

ID#CE3-19
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Einfluss der zeitlichen Asymmetrie zwischen Messwertentstehung und MSCONS-Übermittlung auf die Risikoverteilung in der Ersatzwertabrechnung

1. Problemstellung: Zeitliche Lücke und ihre Folgen

Die MSCONS-Nachricht (Message for Consumption) dient der Übermittlung von Messwerten, Ersatzwerten oder synthetischen Werten für die Abrechnung von Energieverbräuchen. Gemäß den regulatorischen Vorgaben (z. B. MaBiS, WiM, StromNZV) müssen die in einer MSCONS übertragenen Werte stets auf einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum referenzieren. Dies führt zu einer zeitlichen Asymmetrie zwischen:

  • der Entstehung des Messwerts (z. B. durch Zählerablesung oder Fernauslesung),
  • der Bildung von Ersatzwerten (bei fehlenden oder unplausiblen Werten) und
  • der Übermittlung via MSCONS (die erst nachträglich erfolgt).

Diese Asymmetrie hat direkte Auswirkungen auf die Risikoverteilung zwischen den Marktrollen:

  • Netzbetreiber (NB): Verantwortlich für die korrekte Erfassung und Plausibilisierung der Messwerte sowie die Bildung von Ersatzwerten.
  • Lieferanten (LF): Abhängig von den übermittelten Werten für die Abrechnung gegenüber dem Endkunden.
  • Messstellenbetreiber (MSB): Zuständig für die technische Bereitstellung der Messwerte, aber nicht für deren inhaltliche Richtigkeit in der MSCONS.

2. Risikoverteilung und Konfliktpotenziale

a) Netzbetreiber: Haftung für Ersatzwertbildung
  • Der NB muss Ersatzwerte bilden, wenn keine validen Messwerte vorliegen (z. B. bei Zählerausfall, Kommunikationsstörungen oder Plausibilitätsverletzungen).
  • Da die MSCONS erst nachträglich versendet wird, besteht das Risiko, dass spätere Korrekturen (z. B. nach manueller Nachprüfung) zu Rückforderungen oder Nachbelastungen führen.
  • Problem: Der NB trägt das Risiko fehlerhafter Ersatzwerte, da er für die Plausibilisierung verantwortlich ist. Gleichzeitig hat er keine direkte Kontrolle über die technische Messinfrastruktur (z. B. Smart Meter), die vom MSB betrieben wird.
b) Lieferanten: Abrechnungsrisiko durch verzögerte Daten
  • LF sind auf die zeitnahe und korrekte Übermittlung der MSCONS angewiesen, um Endkundenabrechnungen zu erstellen.
  • Verzögerungen oder Fehler in der Ersatzwertbildung führen zu:
    • Falschen Abrechnungen (z. B. zu hohe oder zu niedrige Verbräuche),
    • Nachbelastungen (wenn später korrigierte Werte zu höheren Kosten führen),
    • Reputationsrisiken (Kundenunzufriedenheit bei nachträglichen Korrekturen).
  • Da LF keinen Einfluss auf die Ersatzwertbildung haben, tragen sie das wirtschaftliche Risiko, während der NB die prozessuale Verantwortung trägt.
c) Messstellenbetreiber: Technische vs. inhaltliche Verantwortung
  • Der MSB ist für die Bereitstellung der Rohdaten (z. B. Zählerstände) zuständig, nicht jedoch für deren Plausibilisierung oder Ersatzwertbildung.
  • Problem: Bei technischen Störungen (z. B. Ausfall der Fernauslesung) liegt die Ursache oft beim MSB, die Folgen (Ersatzwertbildung, Abrechnungsfehler) treffen jedoch den NB und LF.
  • Die Trennung von technischer und inhaltlicher Verantwortung führt zu Haftungslücken, insbesondere wenn der MSB keine ausreichenden Qualitätskontrollen durchführt.

3. Prozessuale und regulatorische Lösungsansätze

Um die Risikoverteilung zu optimieren und die zeitliche Asymmetrie zu verringern, kommen folgende Mechanismen infrage:

a) Standardisierte Plausibilisierungsfristen (MaBiS-Anpassung)
  • Aktuell: Die MaBiS (Marktregeln für die Durchführung der Bilanzkreisabrechnung Strom) sieht keine festen Fristen für die Ersatzwertbildung vor.
  • Lösungsvorschlag:
    • Einführung verbindlicher Fristen für die Plausibilisierung und Ersatzwertbildung (z. B. max. 10 Werktage nach Messwertentstehung).
    • Automatisierte Plausibilitätsprüfungen (z. B. durch KI-gestützte Algorithmen) zur Beschleunigung der Ersatzwertbildung.
    • Transparente Dokumentation der Ersatzwertbildung (z. B. in der MSCONS mit Angabe der Gründe für die Ersatzwertbildung).
b) Dynamische MSCONS-Übermittlung mit Vorabinformationen
  • Aktuell: MSCONS werden periodisch (z. B. monatlich) versendet, was zu Verzögerungen führt.
  • Lösungsvorschlag:
    • Echtzeit- oder tägliche Vorabmeldungen von Ersatzwerten (z. B. via EDIFACT-Nachrichten mit Statuskennzeichen).
    • Automatisierte Benachrichtigungen an LF und NB bei Ersatzwertbildung (z. B. per Webservice oder API).
    • Vorläufige Abrechnung auf Basis von Ersatzwerten mit späterer Korrekturmöglichkeit (ähnlich dem „Provisional Billing“ im Gasmarkt).
c) Klare Haftungsregeln für Ersatzwerte (StromNZV, EnWG)
  • Aktuell: Die Haftung für fehlerhafte Ersatzwerte ist nicht eindeutig geregelt.
  • Lösungsvorschlag:
    • Verantwortung des NB für die Ersatzwertbildung, aber mit Rückgriffsmöglichkeit auf den MSB bei technischen Fehlern.
    • Pönalen für verspätete oder fehlerhafte Ersatzwertbildung (z. B. durch die Bundesnetzagentur).
    • Standardisierte Ersatzwertmethoden (z. B. nach VDE-AR-N 4400), um Willkür zu vermeiden.
d) Technische Harmonisierung (Smart Meter Gateway, CLS)
  • Aktuell: Die Fernauslesung über Smart Meter Gateways (SMGW) ist noch nicht flächendeckend umgesetzt.
  • Lösungsvorschlag:
    • Beschleunigte Einführung von SMGW mit automatischer Ersatzwertbildung bei Kommunikationsausfällen.
    • Standardisierte Schnittstellen zwischen MSB, NB und LF für Echtzeit-Datenübertragung.
    • Redundante Messwertspeicherung (z. B. im SMGW) zur Vermeidung von Datenverlusten.

4. Fazit: Notwendigkeit einer ganzheitlichen Lösung

Die zeitliche Asymmetrie zwischen Messwertentstehung und MSCONS-Übermittlung führt zu Risikoverschiebungen, die weder technisch noch regulatorisch ausreichend adressiert sind. Eine kombinierte Lösung aus:

  • prozessualen Anpassungen (Fristen, Automatisierung),
  • regulatorischen Klarstellungen (Haftung, Standardisierung) und
  • technischen Verbesserungen (SMGW, Echtzeit-Datenübertragung) könnte die Risikoverteilung fairer gestalten und Abrechnungsfehler reduzieren.

Empfehlung:

  • Die Bundesnetzagentur sollte in Zusammenarbeit mit BDEW und FNN eine Anpassung der MaBiS vornehmen, um verbindliche Fristen und Haftungsregeln für Ersatzwerte festzulegen.
  • Die Einführung von Echtzeit-Schnittstellen (z. B. via EDI@Energy 2.0) sollte beschleunigt werden, um die Datenlatenz zu minimieren.
  • Pilotprojekte mit automatisierter Ersatzwertbildung (z. B. in Smart-Meter-Pilotregionen) könnten als Best-Practice-Beispiele dienen.

Durch diese Maßnahmen ließe sich die Prozesssicherheit erhöhen, ohne die Marktrollen unangemessen zu belasten.