Willi Mako
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Risikoverschiebung durch fehlende Standardisierung in der Marktkommunikation

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Einfluss fehlender Standardisierung von Änderungsprozessen auf die Risikoverteilung in der Marktkommunikation

Die fehlende einheitliche Standardisierung von Änderungsprozessen – insbesondere die Unterscheidung zwischen Objektprüfung und Übernahmeprüfung – führt zu strukturellen Risikoverschiebungen zwischen den Marktrollen Netzbetreiber (NB), Lieferanten (LF) und Messstellenbetreibern (MSB). Diese Asymmetrien entstehen durch inkonsistente Prüfpflichten, unklare Verantwortlichkeiten und unterschiedliche Interpretationen von Datenqualitätsanforderungen. Im Folgenden werden die zentralen Auswirkungen sowie prozessuale Lösungsansätze dargestellt.


1. Risikoverteilung durch fehlende Standardisierung

a) Netzbetreiber (NB): Erhöhtes Haftungsrisiko bei Objektprüfungen

  • Objektprüfung (z. B. bei Zählerwechsel oder Netzanschlussänderungen) obliegt primär dem NB, der die technische und datentechnische Richtigkeit der Stammdaten sicherstellen muss.
  • Problem: Fehlt eine verbindliche Definition, wann eine Übernahmeprüfung (durch LF/MSB) erforderlich ist, verbleibt das Risiko fehlerhafter Daten beim NB. Dies betrifft insbesondere:
    • Falsche Zuordnungen (z. B. Zählerstandsübermittlung an falsche Marktpartner).
    • Verzögerte Korrekturen, da LF/MSB keine Prüfpflicht haben und Fehler erst bei Abrechnungsdifferenzen auffallen.
  • Folge: Der NB trägt das operative Risiko für Datenfehler, obwohl er keine direkte Kontrolle über nachgelagerte Prozesse (z. B. Lieferantenwechsel) hat.

b) Lieferanten (LF): Abhängigkeit von NB-Datenqualität

  • LF sind auf korrekte Stammdaten (z. B. Zählerstände, Netzanschlussdaten) angewiesen, um Abrechnungen und Prognosen zu erstellen.
  • Problem: Bei fehlender Übernahmeprüfung verlassen sich LF auf die NB-Daten – ohne Möglichkeit, technische Plausibilität zu prüfen (z. B. ob ein Zählerwechsel physisch stattgefunden hat).
  • Risiko:
    • Abrechnungsfehler durch falsche Zählerstände führen zu Rückforderungen oder Stornierungen.
    • Compliance-Verstöße (z. B. gegen § 40 EnWG), wenn Daten nicht den regulatorischen Anforderungen entsprechen.
  • Folge: LF tragen das finanzielle Risiko für Fehler, die sie nicht verursacht haben, aber auch nicht erkennen konnten.

c) Messstellenbetreiber (MSB): Unklare Schnittstellenverantwortung

  • MSB sind für die technische Messung zuständig, aber nicht zwingend für die Datenweitergabe an NB/LF.
  • Problem:
    • Bei fehlender Übernahmeprüfung obliegt die Datenvalidierung dem NB – der MSB hat jedoch oft bessere Kenntnis über technische Änderungen (z. B. Zählerausfälle).
    • Risiko: MSB werden für Datenlücken verantwortlich gemacht, obwohl sie keine Prüfpflicht für die Marktkommunikation haben.
  • Folge: MSB tragen Reputationsrisiken, ohne die Prozesse steuern zu können.

2. Prozessuale Hebel zur Verbesserung von Datenqualität und Compliance

a) Einführung verbindlicher Prüfstandards

  • Differenzierung zwischen Objekt- und Übernahmeprüfung:
    • Objektprüfung (NB): Technische Validierung (z. B. Zählerstand, Netzanschluss).
    • Übernahmeprüfung (LF/MSB): Plausibilitätscheck der übermittelten Daten (z. B. Vergleich mit historischen Werten).
  • Maßnahmen:
    • Regulatorische Vorgaben (z. B. durch die BNetzA) zur Definition von Prüfpflichten.
    • Automatisierte Prüfroutinen (z. B. Abgleich mit Referenzdatenbanken).

b) Klare Verantwortungszuweisung in der Marktkommunikation

  • Rollenbasierte Prüfpflichten:
    • NB: Technische Richtigkeit der Stammdaten.
    • LF: Plausibilität der Abrechnungsdaten.
    • MSB: Korrekte Messdatenübermittlung.
  • Maßnahmen:
    • Vertragliche Regelungen (z. B. in Lieferantenrahmenverträgen) zur Datenqualität.
    • Sanktionen bei Nichteinhaltung (z. B. Pönalen für wiederholte Datenfehler).

c) Technische Standardisierung und Automatisierung

  • Einheitliche Datenformate (z. B. EDIFACT, XML) für Änderungsmeldungen.
  • Automatisierte Schnittstellen (z. B. API-basierte Datenübermittlung) zur Reduzierung manueller Fehler.
  • Datenvalidierungstools (z. B. Plausibilitätschecks bei Zählerstandsänderungen).

d) Regulatorische Anpassungen

  • Verpflichtende Audit-Prozesse für kritische Änderungen (z. B. Zählerwechsel).
  • Transparenzpflichten (z. B. Protokollierung von Datenänderungen für alle Marktpartner).
  • Harmonisierung der Marktregeln (z. B. durch den BDEW oder die Bundesnetzagentur).

3. Fazit

Die fehlende Standardisierung von Änderungsprozessen führt zu Risikoverschiebungen, bei denen Netzbetreiber operative Lasten tragen, Lieferanten finanzielle Risiken übernehmen und Messstellenbetreiber in eine unklare Verantwortungsposition geraten. Langfristig können verbindliche Prüfstandards, klare Rollendefinitionen und technische Automatisierung die Datenqualität und Compliance sicherstellen. Eine regulatorische Nachjustierung – etwa durch die BNetzA – wäre hier zielführend, um Marktineffizienzen zu reduzieren und die Prozesssicherheit zu erhöhen.