Verantwortungs- und Risikoverteilung bei abgelehnten Übertragungsdateien im Abrechnungsprozess von Energieversorgern (Rechtliche Fiktion des „Nicht-Zugangs“ gemäß § [X] EnWG / MaBiS / GPKE)
1. Auswirkungen der „Nicht-Zugangs“-Fiktion auf die Verantwortungsverteilung
Die rechtliche Fiktion des „Nicht-Zugangs“ bei gerechtfertigt abgelehnten Übertragungsdateien (z. B. aufgrund formaler Mängel, fehlender Validierung oder technischer Inkompatibilität) verschiebt die Beweislast und das Risiko von Datenverlusten primär auf den Sender. Dies hat folgende Konsequenzen:
a) Verantwortung des Senders (z. B. Messstellenbetreiber, Netzbetreiber)
- Nachweispflicht des Zugangs: Der Sender muss den erfolgreichen Eingang der Datei beim Empfänger (z. B. Lieferant, Bilanzkreisverantwortlicher) nachweisen. Die Ablehnung gilt als nicht erfolgt, bis der Sender die Korrektur und erneute Übermittlung dokumentiert.
- Risiko der Fristversäumnis: Bei Fristgebundenen Prozessen (z. B. Monatsabrechnung nach MaBiS) trägt der Sender das Risiko von Verzögerungen. Die Fiktion des „Nicht-Zugangs“ führt dazu, dass die Geschäftsvorfälle (z. B. Zählerstände, Bilanzkreisabrechnungen) nicht als fristgerecht übermittelt gelten.
- Haftung für Folgeschäden: Bei fehlerhaften oder abgelehnten Dateien kann der Sender für Kosten aus Ersatzwertbildung, manuellen Nacharbeiten oder regulatorischen Sanktionen (z. B. nach § 60 EnWG) in Anspruch genommen werden.
b) Verantwortung des Empfängers (z. B. Lieferant, Bilanzkreisverantwortlicher)
- Keine Pflicht zur inhaltlichen Prüfung vor Ablehnung: Der Empfänger darf Dateien bei formalen Fehlern (z. B. falsches Format, fehlende Signatur) ablehnen, ohne die inhaltliche Richtigkeit prüfen zu müssen. Die Ablehnung muss jedoch technisch und prozessual nachvollziehbar sein (z. B. durch Fehlermeldungen im EDIFACT-Format).
- Keine automatische Übernahme des Risikos: Der Empfänger trägt keine Verantwortung für die Korrektheit der Daten, solange die Ablehnung gerechtfertigt war. Allerdings muss er zeitnah reagieren (z. B. durch Eskalation), um eigene Compliance-Risiken (z. B. bei Bilanzkreisabrechnung) zu vermeiden.
- Pflicht zur Dokumentation: Ablehnungen müssen protokolliert und dem Sender mitgeteilt werden, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden.
2. Prozessuale Sicherungsmechanismen für Energieversorger
Um regulatorische Compliance (z. B. nach EnWG, MaBiS, GPKE) und betriebliche Effizienz zu gewährleisten, sind folgende Sicherungsmechanismen erforderlich:
a) Technische Maßnahmen
- Automatisierte Validierung vor Versand
- Implementierung von Prüfroutinen (z. B. Schema-Validierung nach EDIFACT, XML-Schemata) zur Erkennung formaler Fehler vor der Übermittlung.
- Nutzung von Testumgebungen für neue Dateiformate oder Prozessänderungen.
- Empfangsbestätigungen und Statusmeldungen
- Echtzeit-Feedback (z. B. über AS2/EDI-Protokolle) über den Eingang und die Verarbeitung der Datei.
- Automatisierte Eskalation bei ausbleibender Bestätigung (z. B. nach 24 Stunden).
- Dokumentation der Datenübermittlung
- Lückenlose Protokollierung aller Sende- und Empfangsversuche (inkl. Zeitstempel, Hash-Werte der Dateien) für Beweiszwecke.
- Speicherung der Daten für mindestens 10 Jahre (gemäß § 257 HGB, GoBD).
b) Organisatorische Maßnahmen
- Eskalationsstufen bei Ablehnungen
- Stufe 1 (automatisiert): Sofortige Benachrichtigung des Senders per E-Mail/EDI mit Fehlercode (z. B. „Formatfehler in Segment XY“).
- Stufe 2 (manuell): Klärung durch Fachabteilung innerhalb von 2 Werktagen, ggf. mit Priorisierung bei fristkritischen Prozessen.
- Stufe 3 (rechtlich): Bei wiederholten Fehlern oder Streitigkeiten formelle Klärung (z. B. über Clearingstelle der BNetzA).
- Rollen und Verantwortlichkeiten
- Dedizierte Ansprechpartner für technische und inhaltliche Fragen (z. B. „EDI-Koordinator“).
- Schulungen für Mitarbeiter zu regulatorischen Anforderungen (z. B. MaBiS, GPKE) und Fehlerbehandlung.
- Notfallpläne für Systemausfälle
- Manuelle Ersatzprozesse (z. B. manuelle Dateneingabe mit Vier-Augen-Prinzip) bei technischen Störungen.
- Regelmäßige Backups und Wiederherstellungstests.
c) Rechtliche und regulatorische Absicherung
- Vertragliche Regelungen
- Klare Vereinbarungen in Lieferanten- oder Netznutzungsverträgen zu:
- Fristen für Korrekturen (z. B. „Nachreichung innerhalb von 3 Werktagen“).
- Haftungsregelungen bei wiederholten Fehlern.
- Eskalationswege (z. B. Schiedsverfahren).
- Klare Vereinbarungen in Lieferanten- oder Netznutzungsverträgen zu:
- Compliance-Prüfungen
- Interne Audits zur Einhaltung der Prozesse (z. B. jährliche Prüfung der EDI-Schnittstellen).
- Externe Zertifizierungen (z. B. nach ISO 27001 für IT-Sicherheit).
- Meldung an Aufsichtsbehörden
- Bei wiederholten oder systematischen Fehlern (z. B. mehr als 5 % Ablehnungsquote) Pflicht zur Meldung an die BNetzA oder Landesregulierungsbehörde.
3. Praktische Empfehlungen für Energieversorger
- Proaktive Fehlervermeidung: Nutzung von Standardformaten (z. B. EDIFACT UTILMD, MSCONS) und regelmäßige Updates der Schnittstellen.
- Transparente Kommunikation: Bereitstellung von Fehlerkatalogen für Sender, um häufige Ablehnungsgründe zu vermeiden.
- Monitoring-Systeme: Einsatz von Dashboards zur Überwachung der Datenqualität und Ablehnungsquoten.
- Dokumentation als Beweismittel: Alle Schritte (Ablehnung, Korrektur, erneuter Versand) müssen gerichtsfest protokolliert werden.
Fazit
Die „Nicht-Zugangs“-Fiktion führt zu einer asymmetrischen Risikoverteilung, bei der der Sender die Hauptverantwortung trägt. Durch technische Automatisierung, klare Prozesse und rechtliche Absicherung können Energieversorger jedoch Compliance-Risiken minimieren und betriebliche Effizienz sicherstellen. Entscheidend ist eine proaktive Fehlerkultur und die lückenlose Dokumentation aller Schritte.