Einfluss fehlender Referenzierbarkeit von Geschäftsvorfällen auf die prozessuale Risikoverteilung in der Marktkommunikation
1. Problemstellung und Risikoverteilung
Die fehlende Referenzierbarkeit von Geschäftsvorfällen – d. h. das Nichtvorhandensein eines korrespondierenden Datensatzes beim Empfänger trotz referenzierter Angaben (z. B. im n-Tupel) – führt zu einer asymmetrischen Risikoverteilung zwischen Sender und Empfänger. Diese Asymmetrie manifestiert sich in folgenden Kernbereichen:
a) Operative Risiken
- Senderperspektive: Der Sender geht davon aus, dass der referenzierte Geschäftsvorfall beim Empfänger vorliegt und verarbeitet wird. Fehlt dieser, entsteht ein Prozessbruch, der zu manuellen Nachbearbeitungen, Verzögerungen oder sogar finanziellen Verlusten führen kann (z. B. bei Liefer- oder Zahlungsavisen). Das Risiko liegt hier in der fehlenden Rückmeldung über die Nichtverarbeitbarkeit des Vorfalls.
- Empfängerperspektive: Der Empfänger kann den referenzierten Vorfall nicht zuordnen, was zu Dateninkonsistenzen führt. Dies betrifft insbesondere automatisierte Systeme (z. B. ERP, Abrechnungssysteme), die auf vollständige Referenzketten angewiesen sind. Das Risiko besteht in falschen Buchungen, doppelten Verarbeitungen oder regulatorischen Compliance-Verstößen (z. B. bei Meldepflichten nach MaRisk oder EnWG).
b) Rechtliche und regulatorische Risiken
- Beweislastverteilung: Ohne referenzierbare Dokumentation ist die Nachweispflicht für den Sender erschwert. Bei Streitigkeiten (z. B. über Lieferungen, Zahlungen oder Vertragserfüllung) fehlt eine belastbare Grundlage für die Klärung. Dies kann zu Haftungsverschiebungen führen, insbesondere wenn der Empfänger die Nichtverarbeitbarkeit nicht zeitnah kommuniziert.
- Compliance-Anforderungen: Regulatorische Vorgaben (z. B. § 20 EnWG, Art. 5 DSGVO) verlangen eine lückenlose Nachvollziehbarkeit von Geschäftsvorfällen. Fehlende Referenzen gefährden die Einhaltung dieser Pflichten und können zu Bußgeldern oder Reputationsschäden führen.
c) Systemische Risiken
- Datenintegrität: Fehlende Referenzen untergraben die Konsistenz der Datenflüsse in der Marktkommunikation. Dies betrifft insbesondere mehrstufige Prozesse (z. B. Lieferketten, Abrechnungssysteme), in denen Referenzen als Bindeglied zwischen Teilprozessen dienen.
- Vertrauensverlust: Wiederkehrende Referenzierungsprobleme führen zu manuellen Workarounds, die die Effizienz der Marktkommunikation mindern und das Vertrauen in automatisierte Systeme untergraben.
2. Systemische Lösungsansätze zur Absicherung der Datenflüsse
Um die Risiken fehlender Referenzierbarkeit zu minimieren, sind technische, prozessuale und regulatorische Maßnahmen erforderlich. Diese sollten sowohl die operative Abwicklung als auch die rechtliche Absicherung adressieren.
a) Quittierungsmechanismen (Acknowledgement-Systeme)
- Funktionsweise:
Der Empfänger bestätigt den Erhalt und die Verarbeitbarkeit eines Geschäftsvorfalls durch eine automatisierte Quittung (z. B. via EDIFACT-Nachricht, API-Call oder Blockchain-basiertem Hash). Diese Quittung enthält:
- Eine eindeutige Referenz auf den ursprünglichen Vorfall (z. B. Transaktions-ID, Zeitstempel).
- Einen Statuscode (z. B. "verarbeitet", "fehlende Referenz", "manuelle Prüfung erforderlich").
- Vorteile:
- Echtzeit-Feedback für den Sender, der bei fehlender Referenz sofort reagieren kann.
- Beweissicherung durch dokumentierte Empfangsbestätigung.
- Automatisierte Eskalation, falls die Quittung ausbleibt (z. B. nach definierten Timeout-Regeln).
- Umsetzung:
- Integration in bestehende Marktkommunikationsprotokolle (z. B. UTILMD, MSCONS).
- Nutzung von Standardformaten (z. B. XML/JSON mit definierten Statusfeldern).
b) Eskalationspfade und manuelle Interventionsprozesse
- Automatisierte Eskalation:
Bei fehlender Referenz oder ausbleibender Quittung wird der Vorfall nach vordefinierten Regeln eskaliert:
- Stufe 1: Automatische Wiederholung der Übermittlung (z. B. nach 2 Stunden).
- Stufe 2: Benachrichtigung des Senders und Empfängers per E-Mail/Workflow-System.
- Stufe 3: Manuelle Klärung durch zuständige Fachabteilungen (z. B. via Ticket-System).
- Dokumentationspflicht: Alle Eskalationsschritte werden revisionssicher protokolliert (z. B. in einem zentralen Log-System), um Compliance-Anforderungen zu erfüllen.
- Vorteile:
- Reduzierung von Prozessbrüchen durch strukturierte Fehlerbehandlung.
- Nachvollziehbarkeit für Audits und regulatorische Prüfungen.
c) Regulatorische und vertragliche Absicherung
- Standardisierte Referenzierungsvorgaben:
Branchenweite Mindeststandards für Referenzierungen (z. B. durch den BDEW oder die Bundesnetzagentur) könnten sicherstellen, dass alle Marktteilnehmer einheitliche Formate verwenden. Beispiel:
- Pflichtfelder in Nachrichten (z. B. Vertragsnummer, Lieferzeitraum, eindeutige Transaktions-ID).
- Validierungsregeln (z. B. Prüfung auf Existenz der Referenz beim Empfänger vor Versand).
- Vertragliche Vereinbarungen:
In Rahmenverträgen (z. B. Lieferverträgen, Marktkommunikationsvereinbarungen) sollten folgende Punkte geregelt werden:
- Reaktionszeiten für Quittungen und Eskalationen.
- Haftungsregelungen bei fehlender Referenz (z. B. Schadensersatz bei verzögerter Klärung).
- Pflicht zur Nutzung von Quittierungsmechanismen.
- Regulatorische Vorgaben: Die Bundesnetzagentur oder andere Aufsichtsbehörden könnten verbindliche Leitlinien für die Referenzierung erlassen, ähnlich den Vorgaben für die MaKo 2020 im Energiesektor.
d) Technische Lösungen zur Datenkonsistenz
- Zentrale Referenzdatenbanken:
Eine branchenweite Datenbank (z. B. betrieben von einer neutralen Stelle wie der EDNA oder dem BDEW) könnte als Single Source of Truth für Referenzen dienen. Vorteile:
- Echtzeit-Prüfung der Existenz von Referenzen vor Versand.
- Historisierung aller Geschäftsvorfälle für spätere Nachweise.
- Blockchain-basierte Lösungen:
Durch die dezentrale Speicherung von Referenzen in einer Blockchain (z. B. Hyperledger Fabric) ließe sich die Unveränderlichkeit und Nachvollziehbarkeit von Geschäftsvorfällen sicherstellen. Anwendungsfälle:
- Smart Contracts für automatisierte Quittungen und Eskalationen.
- Audit-Trails für regulatorische Prüfungen.
- Künstliche Intelligenz (KI) für Fehlererkennung: KI-Systeme könnten Muster in fehlenden Referenzen erkennen und proaktiv Gegenmaßnahmen vorschlagen (z. B. automatische Korrekturvorschläge für falsche IDs).
3. Fazit und Handlungsempfehlungen
Die fehlende Referenzierbarkeit von Geschäftsvorfällen stellt ein systemisches Risiko für die Marktkommunikation dar, das sowohl operative als auch rechtliche und regulatorische Folgen hat. Zur Absicherung der Datenflüsse empfehlen sich folgende Maßnahmen:
- Einführung verbindlicher Quittierungsmechanismen mit klaren Statuscodes und Reaktionszeiten.
- Automatisierte Eskalationspfade mit manuellen Interventionsmöglichkeiten.
- Regulatorische und vertragliche Standardisierung von Referenzierungsvorgaben.
- Technische Lösungen wie zentrale Referenzdatenbanken oder Blockchain zur Sicherung der Datenkonsistenz.
Durch diese Ansätze lässt sich die Risikoverteilung zwischen Sender und Empfänger ausbalancieren, die Prozesssicherheit erhöhen und die Compliance mit regulatorischen Anforderungen gewährleisten. Eine branchenweite Umsetzung erfordert jedoch die Zusammenarbeit aller Marktteilnehmer sowie die Unterstützung durch Aufsichtsbehörden und Standardisierungsgremien.