Risikoverteilung und Verantwortungszuweisung bei fehlender Transparenz über Daten-Tupel-Elemente im Abrechnungsprozess
1. Auswirkungen fehlender Transparenz auf Risikoverteilung
Die unklare Differenzierung zwischen bekannten und unbekannten Elementen eines Daten-Tupels im Abrechnungsprozess führt zu strukturellen Unsicherheiten in der Risikoallokation zwischen Netzbetreibern, Lieferanten und Messstellenbetreibern (MSB). Diese Unsicherheit manifestiert sich in folgenden Bereichen:
1.1 Haftungsrisiken durch unklare Datenhoheit
- Netzbetreiber sind für die korrekte Erfassung und Weiterleitung von Messdaten verantwortlich, tragen jedoch kein direktes Risiko für inhaltliche Fehler, sofern diese auf unbekannte Tupel-Elemente zurückgehen. Fehlt die Transparenz darüber, welche Datenpunkte valide sind, können sie sich auf formale Plausibilitätsprüfungen zurückziehen – was Lieferanten und MSB in eine Beweislastumkehr drängt.
- Lieferanten sind auf vollständige und korrekte Daten angewiesen, um abrechnungsrelevante Mengen (z. B. Verbrauch, Einspeisung) zu berechnen. Unbekannte Tupel-Elemente führen zu Abrechnungsunsicherheiten, die entweder zu Nachforderungen oder zu Verlusten führen. Da sie keine Kontrolle über die Datenerfassung haben, tragen sie das wirtschaftliche Risiko fehlerhafter Daten, ohne die Ursache beeinflussen zu können.
- Messstellenbetreiber sind für die technische Integrität der Messung zuständig, nicht jedoch für die inhaltliche Interpretation der Daten. Fehlt die Transparenz über unbekannte Elemente, können sie sich auf die technische Funktionsfähigkeit der Messeinrichtung berufen, während inhaltliche Fehler (z. B. falsche Zuordnung von Werten) bei Netzbetreibern oder Lieferanten verbleiben.
1.2 Systemische Risiken durch Informationsasymmetrien
- Vertragliche Grauzonen: Ohne klare Kennzeichnung unbekannter Tupel-Elemente entstehen implizite Risikoverschiebungen, da die Parteien keine eindeutigen Verantwortungsbereiche definieren können. Dies führt zu Nachverhandlungen oder Rechtsstreitigkeiten, insbesondere bei:
- Fehlenden Standardwerten für unbekannte Daten (z. B. Ersatzwerte für fehlende Messpunkte).
- Doppelerfassungen oder Datenlücken, die erst im Nachhinein auffallen.
- Regulatorische Sanktionen: Die Bundesnetzagentur (BNetzA) und Landesregulierungsbehörden können bei systematischen Abrechnungsfehlern Bußgelder verhängen oder Anpassungen der Netzentgelte anordnen. Fehlende Transparenz erhöht das Risiko, dass solche Maßnahmen falsche Adressaten treffen (z. B. Lieferanten statt Netzbetreiber).
2. Prozessuale und regulatorische Lösungsansätze
Um die Transparenzlücke systematisch zu schließen, sind technische, prozessuale und regulatorische Maßnahmen erforderlich, die eine klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten ermöglichen.
2.1 Technische Standardisierung der Datenkennzeichnung
- Obligatorische Metadaten zu Tupel-Elementen:
- Jedes Daten-Tupel muss explizit kennzeichnen, welche Elemente:
- Bekannt und validiert sind (z. B. gemessener Verbrauch mit Zeitstempel),
- Bekannt, aber unsicher sind (z. B. geschätzte Werte bei Messausfall),
- Unbekannt sind (z. B. fehlende Zuordnung zu einer Marktrolle).
- Technische Umsetzung: Einführung eines standardisierten Flags in den Datenformaten (z. B. EDIFACT, XML) oder Nutzung von JSON-Schemata mit Pflichtfeldern für Statusangaben.
- Jedes Daten-Tupel muss explizit kennzeichnen, welche Elemente:
- Automatisierte Plausibilitätsprüfungen:
- Netzbetreiber und MSB müssen Algorithmen einsetzen, die unbekannte Tupel-Elemente identifizieren und an die verantwortliche Partei melden (z. B. via Marktkommunikation nach MaKo 2020).
- Beispiel: Ein fehlender Zählerstand wird nicht als "0" übermittelt, sondern als "unbekannt" markiert, mit Angabe der Ursache (z. B. "Zählerdefekt").
2.2 Prozessuale Klarstellung der Verantwortlichkeiten
- Rollenspezifische Pflichtenhefte:
- Netzbetreiber: Verantwortlich für die vollständige und korrekte Weiterleitung aller Tupel-Elemente, inkl. Kennzeichnung unbekannter Daten. Bei fehlenden Werten müssen Ersatzwertverfahren (z. B. nach § 60 EnWG) transparent dokumentiert werden.
- Messstellenbetreiber: Pflicht zur technischen Validierung der Messdaten (z. B. Plausibilitätschecks auf Sprünge oder Nullwerte) und Meldung von Unstimmigkeiten an den Netzbetreiber.
- Lieferanten: Recht auf Nachforderung fehlender Daten innerhalb definierter Fristen (z. B. 10 Werktage nach Übermittlung). Bei Nichtbehebung durch den Netzbetreiber greifen Haftungsregeln (z. B. Schadensersatz bei nachweislich fehlerhafter Abrechnung).
- Dokumentationspflichten:
- Alle Parteien müssen Protokolle über unbekannte Tupel-Elemente führen, inkl.:
- Zeitpunkt der Erkennung,
- Ursache (z. B. "Zähler nicht auslesbar"),
- Maßnahmen zur Behebung (z. B. "Ersatzwertbildung nach § XY").
- Diese Protokolle müssen regulatorischen Audits standhalten (z. B. durch die BNetzA).
- Alle Parteien müssen Protokolle über unbekannte Tupel-Elemente führen, inkl.:
2.3 Regulatorische Anpassungen
- Erweiterung der MaKo-Vorgaben:
- Die Marktkommunikationsrichtlinien (MaKo) müssen um verbindliche Kennzeichnungspflichten für unbekannte Tupel-Elemente ergänzt werden. Beispiel:
- MaKo 2020/2022: Einführung eines Statusfelds in allen Datenformaten (z. B. "known", "estimated", "unknown").
- Sanktionen bei Nichteinhaltung: Bußgelder für Netzbetreiber, die unbekannte Daten nicht kennzeichnen.
- Die Marktkommunikationsrichtlinien (MaKo) müssen um verbindliche Kennzeichnungspflichten für unbekannte Tupel-Elemente ergänzt werden. Beispiel:
- Haftungsregeln im EnWG präzisieren:
- § 40 EnWG (Abrechnung) sollte um klare Verantwortungszuweisungen ergänzt werden, z. B.:
- "Der Netzbetreiber haftet für die korrekte Übermittlung aller abrechnungsrelevanten Daten, sofern diese nicht als 'unbekannt' gekennzeichnet sind."
- "Lieferanten sind berechtigt, bei unbekannten Tupel-Elementen Ersatzwerte zu bilden, sofern der Netzbetreiber diese nicht innerhalb von 5 Werktagen korrigiert."
- § 40 EnWG (Abrechnung) sollte um klare Verantwortungszuweisungen ergänzt werden, z. B.:
- Einführung eines Schlichtungsverfahrens:
- Bei Streitigkeiten über unbekannte Daten sollte ein unabhängiger Schlichter (z. B. bei der BNetzA) entscheiden, welche Partei das Risiko trägt. Dies könnte als vorgerichtliche Instanz dienen, um langwierige Prozesse zu vermeiden.
3. Fazit und Handlungsempfehlungen
Die fehlende Transparenz über bekannte und unbekannte Tupel-Elemente führt zu systematischen Risikoverschiebungen, die durch technische Standardisierung, prozessuale Klarstellungen und regulatorische Anpassungen behoben werden können. Konkrete Schritte umfassen:
- Technisch: Einführung obligatorischer Metadaten und automatisierter Plausibilitätsprüfungen.
- Prozessual: Rollenspezifische Pflichtenhefte und Dokumentationspflichten für unbekannte Daten.
- Regulatorisch: Präzisierung der MaKo-Vorgaben und Haftungsregeln im EnWG, ggf. mit Schlichtungsverfahren.
Eine Umsetzung dieser Maßnahmen würde die Rechtssicherheit erhöhen, Nachverhandlungen reduzieren und die Effizienz des Abrechnungsprozesses steigern. Die BNetzA sollte hierzu eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aller Marktrollen einberufen, um die Details auszuarbeiten.