Veränderung der Risikoverteilung und Eskalationshierarchie bei prozessualer Interpretation von Syntax- und Verarbeitbarkeitsfehlern
1. Aktuelle Risikoverteilung im Fehlerfall
Im bestehenden Regulierungsrahmen (u. a. EnWG, MsbG, GPKE, GeLi Gas) werden Syntax- und Verarbeitbarkeitsfehler primär als technische Störfälle behandelt. Die Verantwortung für die Fehlerbehebung liegt in der Regel beim Messstellenbetreiber (MSB) oder Netzbetreiber (NB), da diese für die technische Integrität der Datenübertragung und -verarbeitung zuständig sind. Der Lieferant ist in dieser Konstellation meist nur Empfänger fehlerhafter Daten und hat begrenzte Handlungsmöglichkeiten, sofern der Fehler nicht auf seine eigenen Systeme zurückzuführen ist.
Die Eskalationshierarchie folgt einem reaktiven Ansatz:
- Erkennung des Fehlers (meist durch den MSB oder NB).
- Technische Analyse (Ursachenforschung, z. B. falsche Datenformate, fehlende Pflichtfelder).
- Korrektur und Neuübertragung (ggf. mit manueller Nachbearbeitung).
- Fristgebundene Meldung an die Bundesnetzagentur (BNetzA) bei schwerwiegenden Störungen.
Die Risikoverteilung ist dabei asymmetrisch:
- Der MSB trägt das Risiko für die korrekte Datenaufbereitung und -übermittlung.
- Der NB haftet für die Weiterverarbeitung und die Einhaltung regulatorischer Vorgaben (z. B. Bilanzkreisabrechnung).
- Der Lieferant ist auf die Qualität der gelieferten Daten angewiesen, hat aber kaum Einfluss auf die Fehlerbehebung.
2. Prozessuale Interpretation von Fehlern als Steuerungsinstrument
Werden Syntax- und Verarbeitbarkeitsfehler nicht mehr als technische Störfälle, sondern als prozessuale Steuerungsinstrumente zur Sicherung der Datenqualität interpretiert, verschiebt sich die Risikoverteilung grundlegend. Fehler werden dann nicht mehr nur behoben, sondern als aktive Rückmeldungen im Datenmanagement genutzt, um strukturelle Schwächen im Prozess zu identifizieren und zu beheben.
2.1 Neue Verantwortlichkeiten und Risikoverteilung
| Akteur | Aktuelle Verantwortung | Verantwortung bei prozessualer Interpretation | Risikoveränderung |
|---|---|---|---|
| Messstellenbetreiber (MSB) | Technische Fehlerbehebung, Datenübermittlung | Prozessuale Qualitätssicherung: Aktive Fehlererkennung, Ursachenanalyse, Präventivmaßnahmen | Höheres Risiko, da nicht nur technische, sondern auch organisatorische Mängel adressiert werden müssen. |
| Netzbetreiber (NB) | Datenverarbeitung, regulatorische Compliance | Koordinationsrolle: Eskalationsmanagement, Schnittstellenoptimierung, Datenvalidierung | Geringeres operatives Risiko, aber höhere Verantwortung für Prozessdesign und -kontrolle. |
| Lieferant | Empfänger fehlerhafter Daten | Mitwirkungspflicht: Aktive Rückmeldung bei Fehlern, Anpassung eigener Systeme | Höheres Risiko, da er in die Fehlerbehebung eingebunden wird und eigene Prozesse anpassen muss. |
2.2 Konsequenzen für die Eskalationshierarchie
Die Eskalation würde sich von einem linearen, reaktiven Modell zu einem zyklischen, präventiven Ansatz entwickeln:
Fehlererkennung und -klassifizierung
- Nicht mehr nur technische Prüfung, sondern prozessuale Einordnung (z. B. "Wiederkehrender Syntaxfehler in Lieferanten-XML → Systematische Ursache?").
- Automatisierte Fehlerkategorisierung (z. B. nach Häufigkeit, betroffenem Marktpartner, Auswirkung auf Abrechnung).
Ursachenanalyse und Verantwortungszuweisung
- MSB: Muss nachweisen, dass der Fehler nicht auf seine Systeme zurückzuführen ist (z. B. durch Logs, Validierungsprotokolle).
- NB: Prüft, ob der Fehler auf Schnittstellenprobleme oder regulatorische Vorgaben zurückzuführen ist.
- Lieferant: Wird in die Analyse einbezogen, wenn der Fehler auf seine Datenlieferung zurückzuführen ist (z. B. falsche Zählpunktbezeichnung).
Lösungsfindung und Prävention
- Kurzfristig: Manuelle Korrektur und Neuübertragung (wie bisher).
- Mittelfristig: Anpassung von Schnittstellen, Schulungen, Prozessdokumentation.
- Langfristig: Automatisierte Validierungsmechanismen, Echtzeit-Feedbackschleifen.
Eskalation bei Nichtbehebung
- Bei wiederholten Fehlern oder mangelnder Kooperation eines Marktpartners formelle Eskalation an die BNetzA oder den Marktgebietsverantwortlichen.
- Sanktionen (z. B. Pönalen, Ausschluss von Prozessen) bei systematischen Verstößen.
3. Praktische Konsequenzen und Herausforderungen
3.1 Vorteile der prozessualen Interpretation
- Höhere Datenqualität: Durch präventive Maßnahmen sinkt die Fehlerquote langfristig.
- Transparenz: Klare Verantwortungszuweisung reduziert Grauzonen in der Fehlerbehebung.
- Effizienzsteigerung: Automatisierte Validierung reduziert manuellen Aufwand.
3.2 Risiken und Umsetzungshürden
- Komplexität: Erfordert standardisierte Prozesse und klare Schnittstellendefinitionen (z. B. einheitliche Fehlercodes).
- Koordinationsaufwand: Marktpartner müssen enger zusammenarbeiten, was bei unterschiedlichen IT-Systemen schwierig sein kann.
- Regulatorische Anpassung: Bestehende Vorgaben (z. B. GPKE) müssten um prozessuale Aspekte erweitert werden.
- Kosten: Höhere Investitionen in IT-Systeme und Schulungen, insbesondere für kleinere Marktteilnehmer.
3.3 Empfehlungen für die Umsetzung
- Einführung eines Fehlerkatalogs
- Standardisierte Klassifizierung von Syntax- und Verarbeitbarkeitsfehlern mit klaren Handlungsanweisungen.
- Automatisierte Validierung
- Echtzeit-Prüfung von Datenformaten und Inhalten vor der Weiterverarbeitung.
- Regelmäßige Prozessreviews
- Gemeinsame Workshops der Marktpartner zur Identifikation wiederkehrender Fehlerquellen.
- Anpassung der Regulierung
- Klare Vorgaben zur prozessualen Fehlerbehandlung in den Festlegungen der BNetzA.
4. Fazit
Die Umdeutung von Syntax- und Verarbeitbarkeitsfehlern von technischen Störfällen zu prozessualen Steuerungsinstrumenten würde die Risikoverteilung grundlegend verändern:
- Der MSB würde stärker in die Qualitätssicherung eingebunden.
- Der NB übernähme eine koordinierende Rolle mit höherer Verantwortung für Prozessdesign.
- Der Lieferant müsste aktiver in die Fehlerbehebung einbezogen werden.
Die Eskalationshierarchie würde präventiver und kooperativer gestaltet, erfordert jedoch standardisierte Prozesse, technische Anpassungen und regulatorische Klarheit. Ohne diese Rahmenbedingungen bestünde das Risiko, dass die Umstellung zu höherem Koordinationsaufwand ohne messbaren Qualitätsgewinn führt. Eine schrittweise Einführung mit Pilotprojekten (z. B. in einzelnen Marktgebieten) wäre daher sinnvoll.