Willi Mako
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Risikoverteilung in der Marktkommunikation nach § 40 EnWG

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TAGS [EDIFACT][LIEFERANTENWECHSEL][MESSSTELLENBETREIBER][PROZESS][GPKE][WIM][GELI GAS][BILANZ]

Einfluss der zeitlichen Synchronisation auf die Risikoverteilung in der Marktkommunikation (gemäß § 40 EnWG und verbundenen Prozessen)

Die zeitliche Abstimmung zwischen Marktkommunikationsprozessen (z. B. Ablesungen, Wechselmeldungen) und regulatorischen Fristen (insbesondere § 40 Energiewirtschaftsgesetz – EnWG) prägt maßgeblich die Risikoverteilung zwischen Netzbetreibern (NB), Lieferanten (LF) und Messstellenbetreibern (MSB). Asymmetrien entstehen vor allem durch:

  1. Fristeninkongruenzen zwischen technischen, marktlichen und rechtlichen Prozessen,
  2. Verzögerungen in der Datenübermittlung (z. B. durch manuelle Schnittstellen oder Systemausfälle),
  3. Unklare Verantwortungszuweisungen bei Fristüberschreitungen.

1. Zentrale Risikotreiber durch fehlende Synchronisation

a) Ablesungen und Bilanzkreisabrechnung (§ 40 EnWG)

  • Fristenkonflikt: § 40 EnWG verpflichtet Netzbetreiber, Ablesedaten spätestens 10 Werktage nach Ablesezeitpunkt an Lieferanten zu übermitteln. Verzögerungen führen zu:
    • Risiko für Lieferanten: Fehlende Daten verhindern eine fristgerechte Bilanzkreisabrechnung (Frist: 15. Werktag des Folgemonats), was zu Ausgleichsenergiekosten oder regulatorischen Sanktionen führen kann.
    • Risiko für Netzbetreiber: Bei verspäteter Übermittlung drohen Haftungsansprüche der Lieferanten (z. B. nach § 280 BGB) oder Bußgelder durch die BNetzA.
    • Risiko für MSB: Werden Ablesungen durch den MSB durchgeführt, aber nicht rechtzeitig an den NB weitergeleitet, trägt dieser die Primärverantwortung für Fristverstöße – selbst wenn die Ursache beim MSB liegt.

b) Wechselprozesse (Lieferantenwechsel, Zählerwechsel)

  • Fristen nach GPKE/GeLi Gas: Ein Lieferantenwechsel muss innerhalb von 3 Werktagen nach Meldung vollzogen sein. Verzögerungen führen zu:
    • Doppellieferungen (Risiko für den alten Lieferanten) oder Lieferunterbrechungen (Risiko für den neuen Lieferanten).
    • Haftung des Netzbetreibers für fehlerhafte Wechselmeldungen, selbst wenn der MSB die Daten verspätet bereitstellt.
  • Zählerwechsel: Bei Smart-Meter-Rollout müssen MSB die technische Inbetriebnahme innerhalb von 10 Werktagen melden. Verspätungen können zu falschen Abrechnungsgrundlagen führen, für die der NB gegenüber dem LF haftet.

c) Regulatorische Schnittstellen (z. B. MaBiS, WiM)

  • Datenqualität und -aktualität: Die Marktkommunikation über Plattformen wie MaBiS (Marktregeln für die Bilanzkreisabrechnung Strom) oder WiM (Wechselprozesse im Messwesen) erfordert tagesaktuelle Daten. Verzögerungen führen zu:
    • Bilanzkreisungleichgewichten, die der LF ausgleichen muss.
    • Nachweispflichten des NB gegenüber der BNetzA, die bei Fristverstößen Bußgelder (bis zu 100.000 €) nach sich ziehen können.

2. Prozessuale Hebel zur Minimierung von Asymmetrien

Um Verantwortungslücken zu schließen und Risiken fair zu verteilen, können folgende Maßnahmen ergriffen werden:

a) Automatisierung und Standardisierung der Schnittstellen

  • Echtzeit-Datenübertragung: Nutzung von EDIFACT/IDoc-Schnittstellen oder API-basierten Lösungen (z. B. über die BDEW-Konformitätsplattform) zur Vermeidung manueller Fehler.
  • Plausibilitätsprüfungen: Automatisierte Validierung von Ablesedaten (z. B. durch KI-gestützte Anomalieerkennung) vor Weiterleitung an den LF.
  • Elektronische Wechselmeldungen: Vollständige Digitalisierung der Prozesse nach GPKE/GeLi Gas mit Zeitstempeln für jede Prozessstufe.

b) Klare vertragliche Regelungen (Messstellenverträge, Lieferantenrahmenverträge)

  • Service-Level-Agreements (SLAs):
    • Festlegung von maximalen Bearbeitungszeiten für MSB (z. B. 24 Stunden für Ablesemeldungen).
    • Pönalen für Fristverstöße, die an den Verursacher (MSB oder NB) weitergegeben werden.
  • Risikoteilungsmodelle:
    • Haftungsfreistellung des NB bei nachweislich fehlerhafter Datenlieferung durch den MSB.
    • Kostenübernahme für Ausgleichsenergie durch den Verursacher (z. B. MSB bei verspäteter Ablesung).

c) Regulatorische Anpassungen und Monitoring

  • Fristenharmonisierung: Angleichung der § 40-EnWG-Fristen an technische Realitäten (z. B. Verlängerung auf 15 Werktage bei Smart-Meter-Daten).
  • Transparenz durch Reporting:
    • Echtzeit-Dashboards für NB, LF und MSB zur Überwachung von Fristen (z. B. über BNetzA-Portale).
    • Meldepflichten bei Verzögerungen mit Angabe der Ursache (z. B. "Systemausfall MSB").
  • Schiedsstellenmechanismen:
    • Einrichtung einer neutralen Instanz (z. B. bei der BNetzA) zur Klärung von Haftungsfragen bei Fristverstößen.

d) Technische Redundanzen und Notfallprozesse

  • Backup-Systeme: Automatisierte Fallback-Lösungen (z. B. manuelle Ablesung bei Smart-Meter-Ausfall) mit definierten Eskalationsstufen.
  • Priorisierte Bearbeitung: Klassifizierung von Meldungen nach Dringlichkeit (z. B. "Wechselmeldungen vor Ablesungen").

3. Fazit: Verantwortung muss der Steuerbarkeit folgen

Die Risikoverteilung in der Marktkommunikation ist kein technisches, sondern ein organisatorisches Problem. Asymmetrien entstehen, wenn:

  • Fristen nicht aufeinander abgestimmt sind (z. B. § 40 EnWG vs. GPKE),
  • Verantwortlichkeiten unklar sind (z. B. NB haftet für MSB-Fehler),
  • Prozesse nicht digitalisiert sind (manuelle Eingriffe erhöhen Fehleranfälligkeit).

Lösungsansätze müssen daher drei Ebenen adressieren:

  1. Technisch: Automatisierung und Standardisierung.
  2. Vertraglich: Klare SLAs und Haftungsregeln.
  3. Regulatorisch: Fristenharmonisierung und Monitoring.

Nur durch eine kohärente Prozessgestaltung können Netzbetreiber, Lieferanten und Messstellenbetreiber ihre Risiken proportional zur Steuerungsmöglichkeit tragen – und regulatorische Konflikte minimieren.


Quellen: § 40 EnWG, GPKE/GeLi Gas, MaBiS, BNetzA-Monitoringberichte