Willi Mako
// PROTOCOL:

Risikoverteilung in der Prozesskette: Pflicht zur Datenignoranz

ID#634-C6
STATUSREAD_ONLY
AUTHORSYS_ADMIN
TAGS [PROZESS][FEHLERBEHANDLUNG]

Risikoverteilung und Verantwortung in der Prozesskette bei Pflicht zur Ignorierung nicht-prüfidentifikationskonformer Daten

1. Grundprinzip der Regelung

Die Vorgabe, Daten außerhalb eines definierten Prüfidentifikators (z. B. strukturierte Felder, Formatvorgaben oder semantische Regeln) zu ignorieren, folgt einem deterministischen Ansatz zur Datenverarbeitung. Sie zielt darauf ab, die Integrität und Vorhersehbarkeit von Geschäftsprozessen zu gewährleisten, indem nur explizit spezifizierte Informationen verarbeitet werden. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Risikoverteilung zwischen Sender und Empfänger sowie auf die impliziten Annahmen über Datenqualität und Fehlerbehandlung.


2. Risikoverteilung zwischen Sender und Empfänger

2.1 Verantwortung des Senders

Der Sender trägt die primäre Verantwortung für die Konformität der übermittelten Daten mit dem Prüfidentifikator. Dies umfasst:

  • Strukturelle Korrektheit: Einhaltung vorgegebener Formate (z. B. Feldlängen, Datentypen, Codierungen).
  • Semantische Validität: Inhaltliche Übereinstimmung mit den definierten Regeln (z. B. zulässige Wertebereiche, Referenzdaten).
  • Vollständigkeit: Bereitstellung aller erforderlichen Datenfelder gemäß Spezifikation.

Risiko für den Sender:

  • Ablehnung oder Ignorierung: Nicht-konforme Daten werden vom Empfänger nicht verarbeitet, was zu Prozessabbrüchen oder Nachbearbeitungsaufwand führen kann.
  • Haftung für Folgeschäden: Bei fehlerhaften Daten, die trotz Ignorierung zu inkorrekten Ergebnissen führen (z. B. durch falsche Interpretation von Restdaten), kann der Sender für Schäden durch unvollständige oder falsche Verarbeitung verantwortlich gemacht werden.

2.2 Verantwortung des Empfängers

Der Empfänger ist verpflichtet, nur die im Prüfidentifikator definierten Daten zu verarbeiten und alle anderen Informationen zu ignorieren. Seine Verantwortung umfasst:

  • Technische Umsetzung der Ignorierungsregel: Sicherstellung, dass nicht-konforme Daten nicht in die Weiterverarbeitung einfließen (z. B. durch Filterung auf Schnittstellenebene).
  • Dokumentation von Abweichungen: Protokollierung ignorierter Daten, um Transparenz über nicht verarbeitete Inhalte zu schaffen.
  • Rückmeldung an den Sender: Bei systematischen Fehlern sollte der Empfänger den Sender über wiederkehrende Nicht-Konformitäten informieren, um eine Korrektur zu ermöglichen.

Risiko für den Empfänger:

  • Verlust kritischer Informationen: Wenn der Prüfidentifikator zu eng definiert ist, können relevante Kontextdaten (z. B. Freitextfelder mit Zusatzinformationen) verloren gehen, was zu Fehlinterpretationen führen kann.
  • Betriebsrisiko durch Ignorierung: Bei automatisierten Prozessen kann die Ignorierung von Daten zu unvorhergesehenen Lücken in der Verarbeitungskette führen (z. B. fehlende Referenznummern in Zahlungsaufträgen).
  • Compliance-Risiko: In regulierten Bereichen (z. B. Finanzwesen, Gesundheitsdaten) kann die Ignorierung von Daten gegen Aufbewahrungs- oder Meldepflichten verstoßen.

3. Implizite Annahmen der Regelung

3.1 Annahmen zur Datenqualität

Die Regelung unterstellt, dass:

  1. Der Prüfidentifikator vollständig ist:
    • Es wird vorausgesetzt, dass alle relevanten Informationen durch den Identifikator abgedeckt sind. Dies ist in der Praxis oft nicht der Fall, insbesondere bei komplexen oder dynamischen Prozessen, in denen Zusatzinformationen (z. B. Anmerkungen, Sonderfälle) erforderlich sind.
  2. Datenfehler erkennbar sind:
    • Die Annahme, dass nicht-konforme Daten eindeutig identifizierbar sind, setzt voraus, dass der Prüfidentifikator klare Abgrenzungskriterien definiert (z. B. durch reguläre Ausdrücke, Schema-Validierung). Unscharfe Regeln (z. B. "alle Daten außerhalb von Feld X sind zu ignorieren") können zu falsch-negativen oder falsch-positiven Ergebnissen führen.
  3. Datenqualität beim Sender kontrollierbar ist:
    • Es wird implizit davon ausgegangen, dass der Sender technische und organisatorische Maßnahmen zur Sicherstellung der Konformität ergreifen kann (z. B. Validierung vor dem Versand). Dies ist in heterogenen Systemlandschaften oder bei manuellen Eingaben oft nicht gewährleistet.

3.2 Annahmen zur Fehlerbehandlung

Die Regelung geht von einem binären Fehlerverständnis aus:

  • Konform = verarbeitbar / Nicht-konform = ignorierbar. Dies ignoriert Grauzonen, in denen Daten zwar formal nicht konform, aber inhaltlich korrekt und relevant sind (z. B. ein Datum im falschen Format, aber mit eindeutigem Inhalt).
  • Keine Eskalationsmechanismen: Die Ignorierung erfolgt ohne Rückfrage oder manuelle Prüfung, was bei kritischen Daten (z. B. Sicherheitswarnungen, Vertragsbedingungen) problematisch sein kann.
  • Automatisierte Verarbeitung als Standard: Die Regelung setzt voraus, dass menschliche Intervention bei Datenfehlern nicht erforderlich ist. Dies kann in Prozessen mit hohem Risiko (z. B. medizinische Diagnosen, juristische Entscheidungen) zu unvertretbaren Ergebnissen führen.

4. Praktische Konsequenzen und Empfehlungen

4.1 Für Sender

  • Validierung vor dem Versand: Implementierung von Pre-Processing-Checks, um Konformität sicherzustellen.
  • Dokumentation von Ausnahmen: Klare Kommunikation, welche Daten absichtlich außerhalb des Prüfidentifikators übermittelt werden (z. B. in separaten Feldern oder Metadaten).
  • Risikomanagement: Bewertung, welche ignorierten Daten kritische Auswirkungen haben könnten (z. B. durch Szenarioanalysen).

4.2 Für Empfänger

  • Flexible Ignorierungsregeln: Definition von Ausnahmen für Daten, die zwar nicht konform, aber inhaltlich relevant sind (z. B. durch manuelle Freigabeprozesse).
  • Monitoring und Alerting: Einrichtung von Warnsystemen, die bei häufigen Ignorierungen oder bestimmten Datenmustern Alarm schlagen.
  • Rückkopplungsschleifen: Automatisierte Benachrichtigung des Senders über wiederkehrende Fehler, um langfristige Verbesserungen zu ermöglichen.

4.3 Für Prozessdesigner

  • Erweiterte Prüfidentifikatoren: Entwicklung von dynamischen oder modularen Identifikatoren, die auch optionale oder kontextabhängige Daten berücksichtigen.
  • Fehlerklassifizierung: Unterscheidung zwischen technischen Fehlern (z. B. Formatverstöße) und inhaltlichen Fehlern (z. B. falsche Werte), um differenzierte Reaktionen zu ermöglichen.
  • Testverfahren: Durchführung von Stress- und Grenzwerttests, um die Robustheit der Ignorierungsregeln zu überprüfen.

5. Fazit

Die Pflicht zur Ignorierung nicht-konformer Daten verschiebt die Hauptverantwortung für Datenqualität auf den Sender, während der Empfänger auf eine mechanische Filterfunktion reduziert wird. Diese Regelung ist effizient für standardisierte, hochautomatisierte Prozesse, birgt jedoch Risiken bei komplexen oder fehleranfälligen Datenflüssen. Die impliziten Annahmen – insbesondere zur Vollständigkeit des Prüfidentifikators und zur Erkennbarkeit von Fehlern – sind in der Praxis oft nicht haltbar.

Eine risikobasierte Anpassung der Regelung, die Ausnahmen, Eskalationspfade und Rückkopplungsmechanismen vorsieht, kann die Balance zwischen Prozesssicherheit und Flexibilität verbessern. Entscheidend ist dabei, dass beide Parteien – Sender und Empfänger – die Grenzen der Ignorierungsregel verstehen und durch technische und organisatorische Maßnahmen absichern.