Willi Mako
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Risikoverteilung & Kompensation bei Abrechnungsfehlern – Guide

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Risikoverteilung und Kompensationsmechanismen bei Verzicht auf die Prüfung von Zuordnungs-, Objekteigenschafts- und Übernahmefehlern im Abrechnungsprozess

1. Auswirkungen auf die Risikoverteilung zwischen Netzbetreibern und Lieferanten

Der bewusste Verzicht auf die Prüfung von Zuordnungsfehlern (z. B. falsche Zuweisung von Messwerten zu Zählpunkten), Objekteigenschaftsfehlern (z. B. fehlerhafte Stammdaten wie Anschlussleistung oder Spannungsebene) und Übernahmefehlern (z. B. unvollständige oder fehlerhafte Datenübernahme aus vorgelagerten Systemen) führt zu einer asymmetrischen Risikoverlagerung im Abrechnungsprozess. Die Folgen lassen sich wie folgt systematisieren:

a) Wirtschaftliche Risiken
  • Netzbetreiber (NB):

    • Reduzierter Prüfaufwand, da keine manuelle oder automatisierte Validierung dieser Fehlerkategorien erfolgt. Dies kann kurzfristig zu Kosteneinsparungen führen, erhöht jedoch das Risiko von Abrechnungsfehlern, die später zu Nachforderungen oder Rückabwicklungen führen.
    • Haftungsrisiko bei fehlerhafter Abrechnung: Da der NB für die korrekte Zuordnung und Datenqualität verantwortlich ist (§ 20 EnWG), kann ein Verzicht auf Prüfungen zu Regressforderungen durch Lieferanten oder Endkunden führen, wenn Fehler erst nachträglich auffallen.
    • Regulatorische Sanktionen: Die Bundesnetzagentur (BNetzA) kann bei systematischen Abrechnungsfehlern Bußgelder verhängen (§ 95 EnWG), insbesondere wenn der Verzicht auf Prüfungen als Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht gewertet wird.
  • Lieferanten (LF):

    • Erhöhtes Abrechnungsrisiko: Lieferanten sind auf korrekte Netznutzungsabrechnungen angewiesen, um ihre eigenen Energiebeschaffungs- und Vertriebskosten zu kalkulieren. Fehler in der Zuordnung oder Objekteigenschaften können zu falschen Netzentgelten führen, die entweder zu Überzahlungen (bei zu hohen Entgelten) oder Rückforderungen (bei zu niedrigen Entgelten) führen.
    • Prozessuale Nachteile: Da Lieferanten keine direkte Einsicht in die Netzdaten haben, sind sie auf die Richtigkeit der vom NB bereitgestellten Daten angewiesen. Ein Verzicht auf Prüfungen erhöht die Abhängigkeit vom NB und erschwert die eigene Plausibilisierung.
    • Kundenreklamationen: Endkunden könnten bei fehlerhaften Abrechnungen den Lieferanten in Anspruch nehmen, selbst wenn der Fehler beim NB liegt. Dies führt zu zusätzlichem Bearbeitungsaufwand und potenziellen Vertrauensverlusten.
b) Rechtliche und regulatorische Risiken
  • Vertragliche Haftungslücken: Standardverträge (z. B. nach GPKE oder GeLi Gas) sehen in der Regel vor, dass der NB für die Datenqualität und korrekte Zuordnung verantwortlich ist. Ein pauschaler Verzicht auf Prüfungen könnte als Vertragsverletzung gewertet werden, wenn dadurch Fehler entstehen, die zu wirtschaftlichen Nachteilen führen.
  • Beweislastumkehr: Im Streitfall müsste der NB nachweisen, dass ein Fehler nicht auf mangelnde Prüfung zurückzuführen ist. Dies ist schwierig, wenn keine dokumentierten Prüfschritte vorliegen.
  • Diskriminierungsrisiko: Wenn der Verzicht auf Prüfungen selektiv erfolgt (z. B. nur bei bestimmten Lieferanten oder Zählpunkten), könnte dies als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (§ 20 EnWG) gewertet werden.

2. Prozessuale und regulatorische Kompensationsmechanismen

Um die Risiken des Prüfverzichts zu mindern, können folgende prozessuale, technische und regulatorische Maßnahmen ergriffen werden:

a) Automatisierte Plausibilitätsprüfungen (vorab)
  • Stammdatenabgleich: Automatisierte Schnittstellen zwischen NB und LF können Objekteigenschaften (z. B. Anschlussleistung, Spannungsebene) in Echtzeit abgleichen, um Fehler frühzeitig zu erkennen.
  • Konsistenzchecks: Algorithmen können prüfen, ob Zuordnungen (z. B. Zählpunkt zu Lieferstelle) logisch konsistent sind (z. B. keine Doppelzuordnungen, keine Lücken).
  • Historische Datenanalyse: Durch den Abgleich mit Vormonatsdaten können ungewöhnliche Abweichungen (z. B. plötzliche Leistungsänderungen) als Indikator für Fehler dienen.
b) Transparenz und Dokumentation
  • Prüfprotokolle: Auch wenn auf eine manuelle Prüfung verzichtet wird, sollten automatisierte Prüfschritte dokumentiert werden (z. B. welche Regeln angewendet wurden, welche Datenquellen genutzt wurden).
  • Fehlerstatistiken: Regelmäßige Auswertungen von häufigen Fehlerquellen (z. B. bestimmte Zählpunkt-Typen oder Lieferanten) können helfen, systematische Schwachstellen zu identifizieren.
  • Lieferanteninformation: Der NB sollte Lieferanten proaktiv über bekannte Datenlücken informieren (z. B. fehlende Stammdaten), um eine gemeinsame Fehlerbehebung zu ermöglichen.
c) Regulatorische Anpassungen
  • Klare Verantwortungszuweisung in den AHB (Allgemeine Haftungsbedingungen):
    • Der Verzicht auf Prüfungen sollte explizit im Vertrag geregelt sein, inkl. einer Risikoaufteilung (z. B. wer trägt die Kosten bei nachträglicher Fehlerkorrektur?).
    • Eine Bagatellgrenze könnte eingeführt werden, unterhalb derer Fehler toleriert werden (z. B. Abweichungen < 1 % der Abrechnungssumme).
  • BNetzA-Vorgaben für Mindestprüfstandards:
    • Die Bundesnetzagentur könnte Mindestanforderungen an die Datenqualität definieren (z. B. maximale Fehlerquote bei Zuordnungen).
    • Stichprobenprüfungen durch die BNetzA könnten eingeführt werden, um die Einhaltung zu überwachen.
  • Schiedsstellenverfahren:
    • Bei Streitigkeiten über Abrechnungsfehler könnte ein beschleunigtes Schiedsverfahren (z. B. nach § 111 EnWG) eingeführt werden, um Konflikte zwischen NB und LF schnell zu klären.
d) Technische Lösungen
  • Blockchain-basierte Datenvalidierung:
    • Durch dezentrale Speicherung von Stammdaten und Zuordnungen könnten Manipulationen oder Fehler leichter nachvollzogen werden.
  • KI-gestützte Fehlererkennung:
    • Maschinelles Lernen kann Muster in historischen Fehlern erkennen und automatisch Korrekturen vorschlagen.
  • Standardisierte Schnittstellen (z. B. EDIFACT, XML):
    • Einheitliche Datenformate reduzieren Übertragungsfehler und erleichtern die automatisierte Prüfung.

3. Fazit und Handlungsempfehlungen

Der Verzicht auf die Prüfung von Zuordnungs-, Objekteigenschafts- und Übernahmefehlern verlagert das Risiko primär auf die Lieferanten, während Netzbetreiber kurzfristig Kosten sparen, langfristig jedoch Haftungs- und Reputationsrisiken eingehen. Um diese Lücke zu schließen, sollten folgende Maßnahmen priorisiert werden:

  1. Automatisierung der Prüfprozesse, um Fehler frühzeitig zu erkennen, ohne manuellen Aufwand zu generieren.
  2. Transparente Dokumentation der Prüfschritte, um im Streitfall nachweisen zu können, dass keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt.
  3. Regulatorische Klarstellung durch die BNetzA, welche Prüfstandards einzuhalten sind und wie mit Fehlern umgegangen wird.
  4. Vertragliche Anpassungen, um die Risikoverteilung zwischen NB und LF fair zu gestalten (z. B. durch Haftungsausschlüsse für Bagatellfehler).
  5. Technische Modernisierung, um Datenqualität durch KI, Blockchain oder standardisierte Schnittstellen zu verbessern.

Ohne solche Kompensationsmechanismen besteht die Gefahr, dass Abrechnungsfehler zunehmen, was zu höheren Kosten für alle Marktteilnehmer und Vertrauensverlusten im Energiemarkt führen kann. Eine proaktive Zusammenarbeit zwischen Netzbetreibern, Lieferanten und Regulierungsbehörden ist daher essenziell, um die Stabilität des Abrechnungssystems zu gewährleisten.