Einfluss selektiver Prüfregeln auf die Datenqualität und prozessuale Risiken in der Marktkommunikation
1. Auswirkungen auf die Konsistenz der Datenqualität
Die selektive Anwendung von Prüfregeln – insbesondere der Ausschluss bestimmter Nachrichtentypen wie der INVOIC (Rechnungsnachricht) – führt zu einer inhomogenen Datenvalidierung im Marktkommunikationsprozess. Dies hat folgende Konsequenzen:
Fragmentierte Datenintegrität: Prüfregeln dienen der Sicherstellung einheitlicher Datenformate, Plausibilitätskontrollen und syntaktischer Korrektheit. Werden bestimmte Nachrichten (z. B. INVOIC) von diesen Prüfungen ausgenommen, entsteht ein zweigeteiltes Validierungsniveau:
- Geprüfte Nachrichten (z. B. MSCONS, UTILMD) unterliegen strengen Konsistenzanforderungen.
- Ungeprüfte Nachrichten (INVOIC) können fehlerhafte, unvollständige oder inkonsistente Daten enthalten, ohne dass dies im Vorfeld erkannt wird. Dies führt zu Datenbrüchen in nachgelagerten Prozessen, da Abrechnungs- und Bilanzierungssysteme auf eine durchgängige Datenqualität angewiesen sind.
Erhöhtes Fehlerrisiko in der Prozesskette: Die INVOIC ist ein zentraler Baustein für die Abrechnung von Energielieferungen, Netznutzungsentgelten und Umlagen. Fehler in dieser Nachricht – z. B. falsche Mengenzuordnungen, fehlende Referenzdaten oder inkonsistente Preisinformationen – wirken sich direkt auf folgende Prozesse aus:
- Abrechnungsvalidierung (z. B. Vergleich von Liefer- und Verbrauchsdaten)
- Bilanzkreisabrechnung (Abgleich von Ist- und Soll-Werten)
- Regulatorische Meldungen (z. B. EEG-Umlage, StromNEV) Da diese Fehler erst in späteren Prozessschritten auffallen, steigen Korrekturaufwand und Nachbearbeitungskosten.
Systematische Verzerrungen in der Datenbasis: Wenn Prüfregeln nur für bestimmte Nachrichtentypen gelten, entsteht ein Bias in der Datenqualität. Beispiel:
- MSCONS (Verbrauchsdaten) wird validiert, INVOIC (Rechnungsdaten) nicht.
- Bei Abweichungen zwischen gemeldeten Verbräuchen und abgerechneten Mengen kann nicht mehr eindeutig festgestellt werden, ob der Fehler in der Messung oder in der Abrechnung liegt. Dies erschwert Fehlerursachenanalysen und erhöht das Risiko von Dateninkonsistenzen in der gesamten Wertschöpfungskette.
2. Prozessuale und regulatorische Risiken
Die selektive Prüfung von Nachrichten birgt betriebliche, rechtliche und finanzielle Risiken, die sich auf verschiedene Ebenen auswirken:
A. Prozessuale Risiken
Erhöhte Fehleranfälligkeit in nachgelagerten Systemen
- Abrechnungs- und Bilanzierungssysteme setzen voraus, dass eingehende Daten vollständig, korrekt und konsistent sind. Fehlende Prüfungen führen zu:
- Manuellen Korrekturprozessen (z. B. Rückfragen an Lieferanten, manuelle Anpassungen in ERP-Systemen).
- Verzögerungen in der Abrechnung (z. B. verspätete Rechnungsstellung, Fristüberschreitungen).
- Doppelerfassungen oder Datenverluste, wenn fehlerhafte INVOIC-Nachrichten nicht erkannt und weiterverarbeitet werden.
- Abrechnungs- und Bilanzierungssysteme setzen voraus, dass eingehende Daten vollständig, korrekt und konsistent sind. Fehlende Prüfungen führen zu:
Komplexitätssteigerung im Fehler-Management
- Da Fehler in ungeprüften Nachrichten erst spät auffallen, müssen aufwendige Rückverfolgungsprozesse etabliert werden, um die Ursache zu identifizieren.
- Beispiel: Eine falsche Rechnungsstellung aufgrund einer fehlerhaften INVOIC kann zu Reklamationen, Gutschriften oder sogar Rechtsstreitigkeiten führen.
Beeinträchtigung der Automatisierung
- Moderne Marktkommunikationsprozesse basieren auf durchgängiger Digitalisierung und Straight-Through-Processing (STP).
- Selektive Prüfungen unterbrechen diesen Automatisierungsfluss, da manuelle Eingriffe für ungeprüfte Nachrichten erforderlich werden.
B. Regulatorische und rechtliche Risiken
Verstoß gegen Compliance-Anforderungen
- Die Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV) und das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) fordern eine nachvollziehbare, transparente und fehlerfreie Abrechnung.
- Werden INVOIC-Nachrichten nicht geprüft, kann dies als Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht (§ 49 EnWG) gewertet werden, insbesondere wenn Fehler zu falschen Umlageberechnungen (z. B. EEG, KWKG) führen.
- Die Bundesnetzagentur (BNetzA) kann bei wiederholten Fehlern Bußgelder verhängen oder Anpassungen der Prozesse anordnen.
Risiko von Bilanzkreisabweichungen
- Die Bilanzkreisabrechnung basiert auf einem Abgleich von gemessenen Verbräuchen (MSCONS) und abgerechneten Mengen (INVOIC).
- Fehler in der INVOIC können zu falschen Ausgleichsenergieabrechnungen führen, was finanzielle Nachteile für Bilanzkreisverantwortliche (BKV) und Netzbetreiber zur Folge hat.
- Im schlimmsten Fall kommt es zu Rückforderungen oder Strafzahlungen, wenn Abweichungen erst im Rahmen von Prüfungen durch den Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) auffallen.
Haftungsrisiken bei falschen Abrechnungen
- Energieversorger und Netzbetreiber haften für fehlerhafte Abrechnungen, insbesondere wenn diese zu überhöhten Kosten für Endkunden führen.
- Beispiel: Eine falsche INVOIC kann zu überhöhten EEG-Umlagebelastungen führen, was Rückforderungsansprüche seitens der Kunden oder des Finanzamts nach sich ziehen kann.
Beeinträchtigung der Markttransparenz
- Die EU-Richtlinie 2019/944 (Strombinnenmarktrichtlinie) fordert diskriminierungsfreie und transparente Marktprozesse.
- Selektive Prüfungen können als Wettbewerbsverzerrung interpretiert werden, wenn bestimmte Marktteilnehmer (z. B. große Lieferanten) von Prüfungen ausgenommen werden, während andere (z. B. kleinere Stadtwerke) strengeren Regeln unterliegen.
3. Empfehlungen zur Risikominimierung
Um die negativen Auswirkungen selektiver Prüfregeln zu begrenzen, sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:
Ausweitung der Prüfregeln auf alle relevanten Nachrichtentypen
- Die INVOIC sollte mindestens grundlegenden Plausibilitätsprüfungen unterzogen werden, z. B.:
- Konsistenzprüfung von Rechnungs- und Lieferdaten (z. B. Vergleich mit MSCONS).
- Validierung von Referenznummern (z. B. Vertrags- oder Zählpunktbezug).
- Prüfung auf Vollständigkeit obligatorischer Felder (z. B. Steuernummer, Rechnungsdatum).
- Die INVOIC sollte mindestens grundlegenden Plausibilitätsprüfungen unterzogen werden, z. B.:
Einführung eines gestuften Prüfverfahrens
- Stufe 1: Syntaktische Prüfung (Format, Struktur, Pflichtfelder).
- Stufe 2: Plausibilitätsprüfung (logische Konsistenz, z. B. Rechnungsbetrag vs. gemeldete Mengen).
- Stufe 3: Business-Logik-Prüfung (z. B. Abgleich mit Vertragsdaten, Tarifmodellen).
Automatisierte Fehlererkennung und Eskalationsmechanismen
- Implementierung von Monitoring-Tools, die ungeprüfte Nachrichten identifizieren und bei Abweichungen automatische Warnmeldungen auslösen.
- Einrichtung eines zentralen Fehler-Managements, das Inkonsistenzen zwischen geprüften und ungeprüften Nachrichten erkennt.
Regulatorische Absicherung
- Klärung mit der Bundesnetzagentur (BNetzA), ob selektive Prüfungen mit den Anforderungen des EnWG und der StromNZV vereinbar sind.
- Dokumentation der Risikobewertung, falls bestimmte Prüfungen bewusst ausgeschlossen werden, um Compliance nachweisen zu können.
Schulung und Prozessdokumentation
- Sensibilisierung der Mitarbeiter für die Risiken ungeprüfter Nachrichten.
- Erstellung von Handlungsanweisungen für den Umgang mit fehlerhaften INVOIC-Nachrichten.
Fazit
Die selektive Anwendung von Prüfregeln – insbesondere der Ausschluss der INVOIC – untergräbt die Konsistenz der Datenqualität im Marktkommunikationsprozess und birgt erhebliche prozessuale und regulatorische Risiken. Fehler in ungeprüften Nachrichten können zu Abrechnungsfehlern, Bilanzkreisabweichungen, Compliance-Verstößen und finanziellen Nachteilen führen. Eine durchgängige Validierung aller relevanten Nachrichtentypen ist daher essenziell, um die Integrität der Marktprozesse zu gewährleisten und rechtliche sowie betriebliche Risiken zu minimieren.