Einfluss starrer Rollenbindungen im Datenaustausch der Energiewirtschaft auf Flexibilität und Fehlerresilienz
1. Auswirkungen auf die Flexibilität der Geschäftsprozessabwicklung
In der Energiewirtschaft sind Marktrollen (z. B. Lieferant, Netzbetreiber, Messstellenbetreiber) durch regulatorische Vorgaben wie das Messstellenbetriebsgesetz (MsbG), die Marktkommunikation Strom (MaKo Strom) oder das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) klar definiert. Die starre Bindung von Datenaustauschprozessen an diese Rollen führt zu folgenden Einschränkungen:
Fehlende dynamische Anpassung an Marktveränderungen Neue Geschäftsmodelle (z. B. Peer-to-Peer-Handel, virtuelle Kraftwerke) oder regulatorische Anpassungen (z. B. Redispatch 2.0) erfordern oft eine flexiblere Rollenzuordnung. Da jedoch die Kommunikation streng an vordefinierte Sender-Empfänger-Beziehungen geknüpft ist, müssen Prozesse manuell umkonfiguriert werden, was Zeit und Ressourcen bindet.
Komplexität bei Multi-Rollen-Konstellationen Einige Marktteilnehmer übernehmen mehrere Rollen (z. B. ein Netzbetreiber, der gleichzeitig Messstellenbetreiber ist). Die starre Trennung der Kommunikationskanäle führt zu redundanten Datenflüssen und erhöht den Abstimmungsaufwand, da jede Rolle separat adressiert werden muss.
Hemmnis für Digitalisierung und Automatisierung Moderne IT-Architekturen (z. B. Microservices, API-basierte Schnittstellen) setzen auf flexible Datenflüsse. Die starre Rollenbindung erzwingt jedoch oft monolithische Systeme, die schwer skalierbar sind und Anpassungen nur mit hohem Aufwand zulassen.
2. Auswirkungen auf die Fehlerresilienz
Die fehlende Prüfung von Geschäftsvorfällen bei festen Rollenbindungen hat sowohl positive als auch negative Effekte auf die Fehleranfälligkeit:
Vorteile: Klare Verantwortlichkeiten und reduzierte Komplexität Durch die feste Zuordnung von Sender und Empfänger wird die Datenintegrität formal sichergestellt, da nur autorisierte Marktteilnehmer bestimmte Nachrichten versenden oder empfangen dürfen. Dies minimiert das Risiko unautorisierter Datenmanipulation.
Nachteile: Fehlende Plausibilitätsprüfungen und erhöhte Fehlerfortpflanzung Da keine inhaltliche Validierung der Geschäftsvorfälle erfolgt, können fehlerhafte Daten (z. B. falsche Zählerstände, inkonsistente Vertragsdaten) ungehindert durch die Prozesskette laufen. Dies führt zu:
- Kettenreaktionen von Fehlern (z. B. falsche Abrechnungen, die manuell korrigiert werden müssen).
- Erhöhtem manuellem Korrekturaufwand, da Fehler oft erst in späteren Prozessschritten erkannt werden.
- Geringerer Datenqualität, da keine automatisierten Plausibilitätschecks (z. B. Vergleich mit historischen Werten) stattfinden.
3. Regulatorische und prozessuale Alternativen zur Steigerung der Effizienz
Um die Flexibilität zu erhöhen, ohne die Datenintegrität zu gefährden, könnten folgende Ansätze verfolgt werden:
a) Einführung dynamischer Rollenmodelle mit kontrollierter Flexibilität
- Rollenbasierte Zugriffskontrolle (RBAC) mit temporären Berechtigungen Statt starrer Sender-Empfänger-Beziehungen könnten Marktteilnehmer dynamisch Rollen zugewiesen bekommen, sofern sie die regulatorischen Anforderungen erfüllen (z. B. Zertifizierung nach ISO 27001). Dies würde z. B. ermöglichen, dass ein Lieferant kurzfristig als Messstellenbetreiber agiert, wenn dies für einen Geschäftsvorfall erforderlich ist.
- Automatisierte Rollenvalidierung Vor der Datenübertragung könnte ein zentrales Register (z. B. über die Bundesnetzagentur) prüfen, ob der Sender für die jeweilige Rolle berechtigt ist. Dies würde die Integrität wahren, ohne starre Prozessvorgaben zu erzwingen.
b) Standardisierte Plausibilitätsprüfungen und Datenvalidierung
- Einführung von Prüfregeln in der Marktkommunikation Statt nur die formale Rollenkonformität zu prüfen, könnten inhaltliche Validierungen (z. B. Vergleich mit historischen Verbrauchsdaten, Prüfung auf logische Konsistenz) in die Kommunikationsprotokolle integriert werden. Dies würde Fehler frühzeitig erkennen, ohne die Rollenbindung vollständig aufzuheben.
- Nutzung von Blockchain oder verteilten Ledgern Eine dezentrale Datenhaltung mit kryptografischer Signatur könnte die Integrität sicherstellen, während gleichzeitig flexible Datenflüsse ermöglicht werden. Dies wird bereits in Pilotprojekten (z. B. Enerchain) erprobt.
c) Modularisierung der Marktkommunikation
- Trennung von Datenübertragung und Geschäftslogik Statt monolithischer EDIFACT-Nachrichten (z. B. UTILMD, MSCONS) könnten modulare APIs genutzt werden, die einzelne Prozessschritte (z. B. Zählerstandsübermittlung, Vertragsänderung) unabhängig von der Rollenbindung abbilden. Dies würde die Wiederverwendbarkeit von Daten erhöhen und Anpassungen erleichtern.
- Einführung von "Smart Contracts" für Standardprozesse Automatisierte Verträge (z. B. auf Basis von Ethereum oder Hyperledger) könnten Routineprozesse (z. B. Lieferantenwechsel) ohne manuelle Eingriffe abwickeln, sofern die beteiligten Parteien die notwendigen Rollen innehaben.
d) Regulatorische Anpassungen
- Flexiblere Auslegung der Marktrollen Die Bundesnetzagentur könnte Leitlinien entwickeln, unter welchen Bedingungen Marktteilnehmer temporär zusätzliche Rollen übernehmen dürfen (z. B. bei Engpässen oder Notfällen).
- Pflicht zur Datenqualitätsprüfung Eine Erweiterung der MaKo Strom um verbindliche Plausibilitätsprüfungen würde die Fehlerresilienz erhöhen, ohne die Rollenbindung vollständig aufzuheben.
4. Fazit
Die starre Rollenbindung im Datenaustausch der Energiewirtschaft sichert zwar die formale Integrität, geht jedoch zu Lasten von Flexibilität und Fehlerresilienz. Durch eine Kombination aus dynamischen Rollenmodellen, standardisierten Plausibilitätsprüfungen und modularen Kommunikationsstrukturen ließe sich die Effizienz steigern, ohne die regulatorischen Anforderungen zu vernachlässigen. Entscheidend ist ein schrittweiser Übergang, der sowohl technische als auch rechtliche Anpassungen berücksichtigt. Pilotprojekte und regulatorische Klarstellungen (z. B. durch die BNetzA) könnten hier als Wegbereiter dienen.