Einfluss unklarer Hierarchien zwischen Markt-, Messlokations- und Tranchen-ID auf die Prozesssicherheit bei Lieferantenwechseln und Netzanschlussvorgängen
1. Problemstellung: Inkonsistente Referenzierungen in der Datenübermittlung
In der energiewirtschaftlichen Datenkommunikation – insbesondere im Rahmen des EDIFACT-Nachrichtentyps SG4 FTX+ABO – werden zentrale Identifikatoren wie die Marktlokations-ID (MaLo-ID), Messlokations-ID (MeLo-ID) und Tranchen-ID zur eindeutigen Zuordnung von Lieferstellen, Messpunkten und Teilmengen verwendet. Die unklare oder inkonsistente Hierarchie dieser IDs führt jedoch zu Prozessrisiken, die die Abwicklung von Lieferantenwechseln (LiefWe) und Netzanschlussvorgängen beeinträchtigen können.
Die SG4 FTX+ABO-Struktur sieht vor, dass diese IDs gemeinsam mit Zeitintervallen oder Zeitpunkten übermittelt werden. Fehlt jedoch eine eindeutige Priorisierung oder standardisierte Referenzierung, entstehen folgende Probleme:
2. Konkrete Auswirkungen auf die Prozesssicherheit
2.1 Lieferantenwechsel (LiefWe)
- Doppelte oder fehlende Zuordnungen:
- Wird in einer Nachricht (z. B. bei der Anmeldung eines neuen Lieferanten) nicht klar zwischen MaLo-ID (für die Lieferstelle) und MeLo-ID (für den Messpunkt) unterschieden, kann es zu falschen Abrechnungszuordnungen kommen.
- Beispiel: Ein Netzbetreiber ordnet eine MeLo-ID fälschlich einer MaLo-ID zu, obwohl die Messung einer anderen Tranche gilt. Dies führt zu Abrechnungsfehlern und Nachbearbeitungsaufwand.
- Verzögerungen durch manuelle Korrekturen:
- Inkonsistente Referenzen erfordern manuelle Plausibilitätsprüfungen, was die Bearbeitungszeit verlängert und die Wechselfristen nach § 20a EnWG gefährdet.
- Im schlimmsten Fall wird ein Lieferantenwechsel abgelehnt, weil die Daten nicht eindeutig zugeordnet werden können.
2.2 Netzanschlussvorgänge
- Fehlerhafte Zuweisung von Anschlusskapazitäten:
- Bei Neuanschlüssen oder Kapazitätsänderungen muss klar sein, ob eine Tranchen-ID (z. B. für eine Teilmenge eines Anschlusses) oder die MaLo-ID (für die gesamte Lieferstelle) referenziert wird.
- Unklare Hierarchien können dazu führen, dass falsche Kapazitäten (z. B. in Stammdaten nach GPKE) hinterlegt werden, was Netzengpässe oder Überlastungen zur Folge hat.
- Probleme bei der Zählerstandsübermittlung:
- Die MeLo-ID ist entscheidend für die korrekte Ablesung und Bilanzierung. Wird sie in der SG4 FTX+ABO nicht eindeutig mit der MaLo-ID verknüpft, können Bilanzkreisabweichungen entstehen, die nach MaBiS ausgeglichen werden müssen.
3. Regulatorische Risiken durch inkonsistente Referenzierungen
3.1 Verstoß gegen energiewirtschaftliche Vorgaben
- § 20 EnWG (Lieferantenwechsel):
- Unklare ID-Hierarchien können zu Verzögerungen oder Fehlzuordnungen führen, was einen Verstoß gegen die 3-Wochen-Frist für Lieferantenwechsel darstellt.
- Die Bundesnetzagentur (BNetzA) kann dies als mangelnde Prozessqualität werten und Bußgelder verhängen.
- GPKE (Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität):
- Die GPKE sieht eine eindeutige Referenzierung von MaLo-ID, MeLo-ID und Tranchen-ID vor. Inkonsistenzen führen zu Nichtkonformität mit den Marktregeln, was Vertragsstrafen nach sich ziehen kann.
- MaBiS (Marktregeln für die Bilanzkreisabrechnung Strom):
- Fehlende oder falsche Zuordnungen von MeLo-ID zu MaLo-ID führen zu Bilanzkreisabweichungen, die nach MaBiS § 12 ausgeglichen werden müssen. Dies verursacht Kosten für Ausgleichsenergie und kann Abrechnungsstreitigkeiten auslösen.
3.2 Datenschutzrechtliche Risiken (DSGVO)
- Falsche Zuordnungen von Verbrauchsdaten:
- Werden personenbezogene Daten (z. B. Zählerstände) aufgrund unklarer ID-Hierarchien falschen Lieferstellen zugeordnet, liegt ein Verstoß gegen Art. 5 DSGVO (Richtigkeit personenbezogener Daten) vor.
- Dies kann zu Beschwerden bei Aufsichtsbehörden und Bußgeldern führen.
3.3 Haftungsrisiken bei Netzstörungen
- Fehlerhafte Kapazitätszuweisungen:
- Wird eine Tranchen-ID fälschlich als MaLo-ID behandelt, können Netzüberlastungen entstehen, die Haftungsansprüche nach § 18 EnWG (Netzsicherheit) auslösen.
- Netzbetreiber müssen nachweisen, dass sie technisch-organisatorische Maßnahmen (TOMs) zur Vermeidung solcher Fehler ergriffen haben.
4. Lösungsansätze zur Verbesserung der Prozesssicherheit
Um die genannten Risiken zu minimieren, sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:
Eindeutige Hierarchisierung in den Marktprozessen:
- Klare Definition, dass die MaLo-ID die oberste Referenz für Lieferstellen ist, während MeLo-ID und Tranchen-ID Unterkategorien darstellen.
- Automatisierte Plausibilitätsprüfungen in den IT-Systemen, die inkonsistente Referenzen erkennen.
Standardisierte Datenformate und Validierungsregeln:
- Einführung verbindlicher Syntaxregeln für die SG4 FTX+ABO, z. B. durch EDI-Guidelines der BNetzA.
- Nutzung von Referenzdatenbanken (z. B. MaLo-Stammdaten nach GPKE), um IDs abzugleichen.
Schulungen und Prozessdokumentation:
- Regelmäßige Schulungen für Marktteilnehmer (Lieferanten, Netzbetreiber, Messstellenbetreiber) zur korrekten Handhabung der IDs.
- Dokumentation der ID-Hierarchie in den Marktprozessen, z. B. in den GPKE-Handbüchern.
Technische Schnittstellenanpassungen:
- API-basierte Abgleiche zwischen MaLo-, MeLo- und Tranchen-ID, um manuelle Fehler zu vermeiden.
- Automatisierte Fehlermeldungen bei inkonsistenten Referenzen in den EDIFACT-Nachrichten.
5. Fazit
Die unklare Hierarchie zwischen Markt-, Messlokations- und Tranchen-ID in der SG4 FTX+ABO stellt ein erhebliches Risiko für die Prozesssicherheit in der Energiewirtschaft dar. Sie führt zu Verzögerungen, Abrechnungsfehlern und regulatorischen Verstößen, insbesondere bei Lieferantenwechseln und Netzanschlussvorgängen.
Die regulatorischen Risiken reichen von Bußgeldern nach EnWG und DSGVO bis hin zu Haftungsansprüchen bei Netzstörungen. Eine standardisierte Referenzierung, automatisierte Plausibilitätsprüfungen und klare Prozessdokumentation sind daher essenziell, um die Compliance und Effizienz in der Datenkommunikation sicherzustellen.