Einfluss unklarer hierarchischer Zuordnungen auf die Prozesssicherheit in der Marktkommunikation und regulatorische Risiken
1. Problemstellung: Unklare hierarchische Zuordnungen im Marktkommunikationsprozess
Die Marktkommunikation im deutschen Energiemarkt basiert auf präzisen Rollen- und Verantwortungszuweisungen, die in den regulatorischen Rahmenwerken (u. a. MaBiS – Marktregeln für die Durchführung der Bilanzkreisabrechnung Strom, GPKE – Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität, GeLi Gas) definiert sind. Kernakteure sind dabei:
- MaBiS-ZP (Zählpunkt) – Physikalischer oder virtueller Punkt, an dem Energiemengen gemessen und bilanziert werden.
- Technische Ressource (TR) – Physische oder logische Einheit (z. B. Erzeugungsanlage, Speicher, Verbraucher), die Energie einspeist oder entnimmt.
- Steuerbare Ressource (SR) – Eine TR, die aktiv gesteuert werden kann (z. B. Lastmanagement, Flexibilitätsvermarktung).
Die unklare hierarchische Zuordnung zwischen diesen Entitäten führt zu Prozessbrüchen, da die Schnittstellen zwischen Messung, Bilanzierung und Steuerung nicht eindeutig geregelt sind. Dies betrifft insbesondere:
- Datenflüsse (z. B. welche Entität welche Marktmeldungen auslöst),
- Verantwortlichkeiten (z. B. wer für die korrekte Abrechnung einer steuerbaren Ressource zuständig ist),
- Bilanzierungslogik (z. B. ob eine SR als eigenständiger Bilanzkreis oder als Teil einer TR behandelt wird).
2. Auswirkungen auf die Prozesssicherheit
2.1 Inkonsistente Datenweitergabe und Meldepflichten
Die Marktkommunikation erfordert eine eindeutige Zuordnung von Zählpunkten zu technischen und steuerbaren Ressourcen, um:
- Messwerte korrekt zuzuordnen (z. B. bei Mehrfachnutzung einer TR durch mehrere SR),
- Bilanzkreisverantwortliche (BKV) und Lieferanten mit präzisen Daten zu versorgen,
- Steuerungsbefehle (z. B. Redispatch, Flexibilitätsabruf) fehlerfrei umzusetzen.
Folgen unklarer Zuordnungen:
- Doppelerfassungen oder Lücken in der Bilanzierung, da nicht eindeutig ist, ob eine SR als eigenständige Einheit oder als Teil einer TR abgerechnet wird.
- Fehlende Transparenz bei der Zuordnung von Messwerten zu Bilanzkreisen, was zu Abrechnungsdifferenzen führt.
- Verzögerungen in der Marktkommunikation, da Nachfragen zur korrekten Zuordnung notwendig werden.
2.2 Risiken in der Bilanzkreisabrechnung
Die Bilanzkreisabrechnung nach MaBiS setzt voraus, dass alle Energiemengen einem eindeutigen Zählpunkt (MaBiS-ZP) und damit einem Bilanzkreis zugeordnet werden. Bei unklaren Hierarchien entstehen folgende Probleme:
- Falsche Allokation von Energiemengen: Wenn eine SR sowohl als eigenständige Einheit als auch als Teil einer TR bilanziert wird, kommt es zu Doppelerfassungen oder Auslassungen.
- Fehlerhafte Ausgleichsenergieabrechnung: Die Bundesnetzagentur (BNetzA) verlangt eine präzise Zuordnung von Abweichungen. Inkonsistenzen führen zu Nachforderungen oder Strafzahlungen.
- Komplexität in der Flexibilitätsvermarktung: Steuerbare Ressourcen (z. B. Batteriespeicher, Industrieanlagen) müssen klar als eigenständige Bilanzierungseinheiten oder als Teil eines übergeordneten Bilanzkreises definiert sein. Unklare Zuordnungen erschweren die korrekte Vergütung von Flexibilitätsleistungen.
2.3 Steuerungsrisiken bei Redispatch und Netzengpassmanagement
Im Redispatch 2.0 und bei Netzengpassmanagement müssen steuerbare Ressourcen eindeutig identifizierbar und ansteuerbar sein. Unklare Hierarchien führen zu:
- Fehlsteuerungen, wenn eine SR fälschlicherweise als Teil einer TR behandelt wird und Steuerungsbefehle nicht korrekt umgesetzt werden.
- Haftungsrisiken, wenn durch falsche Zuordnungen Netzstabilitätsprobleme entstehen.
- Verzögerungen in der Umsetzung, da Netzbetreiber und BKV zunächst die korrekte Zuordnung klären müssen.
3. Regulatorische Risiken durch inkonsistente Abgrenzungen
Die Bundesnetzagentur (BNetzA) und die Bundesnetzgesellschaft (BNetzG) überwachen die Einhaltung der Marktregeln. Inkonsistente Zuordnungen bergen folgende rechtliche und finanzielle Risiken:
3.1 Verstoß gegen MaBiS- und GPKE-Vorgaben
- § 4 MaBiS verlangt eine eindeutige Zuordnung von Zählpunkten zu Bilanzkreisen. Unklare Hierarchien führen zu formalen Verstößen, die mit Bußgeldern geahndet werden können.
- § 5 GPKE fordert eine konsistente Datenweitergabe zwischen Marktpartnern. Fehlerhafte Zuordnungen können als Verstoß gegen die Meldepflichten gewertet werden.
3.2 Finanzielle Risiken durch Abrechnungsfehler
- Nachforderungen der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) bei falscher Bilanzierung (z. B. durch Doppelerfassungen).
- Strafzahlungen bei wiederholten Verstößen gegen die Marktregeln (gemäß § 65 EnWG).
- Rückforderungen von Ausgleichsenergie bei fehlerhafter Zuordnung von Abweichungen.
3.3 Haftungsrisiken bei Netzstörungen
- Wenn durch unklare Zuordnungen Steuerungsbefehle nicht korrekt umgesetzt werden, kann dies zu Netzstörungen führen.
- Die Haftung für Netzengpässe liegt bei den verantwortlichen Akteuren (BKV, Netzbetreiber). Unklare Hierarchien können die Zurechnung von Verantwortung erschweren.
3.4 Compliance-Risiken im Rahmen der Digitalisierung
Mit der Einführung von Smart Metern und digitalen Marktprozessen (z. B. MaKo 2020) steigen die Anforderungen an Datenkonsistenz. Unklare Zuordnungen führen zu:
- Problemen bei der Umsetzung des Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG),
- Verzögerungen in der Einführung neuer Marktprozesse (z. B. Flexibilitätsplattformen),
- Erhöhten Prüfaufwand durch die BNetzA, was zu zusätzlichen Compliance-Kosten führt.
4. Lösungsansätze zur Verbesserung der Prozesssicherheit
Um die Risiken zu minimieren, sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:
4.1 Klare Definition der Hierarchien in den Marktregeln
- Ergänzung der MaBiS/GPKE um eindeutige Zuordnungsregeln zwischen Zählpunkten, technischen und steuerbaren Ressourcen.
- Standardisierte Schnittstellen für die Kommunikation zwischen BKV, Netzbetreibern und Messstellenbetreibern.
4.2 Technische Umsetzung: Einheitliche Datenmodelle
- Einführung eines zentralen Registers für die Zuordnung von Zählpunkten, TR und SR (ähnlich dem Marktstammdatenregister).
- Automatisierte Plausibilitätsprüfungen in den Marktkommunikationssystemen, um Inkonsistenzen frühzeitig zu erkennen.
4.3 Regulatorische Klarstellung durch die BNetzA
- Veröffentlichung von Leitfäden zur korrekten Abgrenzung von TR und SR.
- Anpassung der Prüfkriterien für die Marktkommunikation, um unklare Zuordnungen zu sanktionieren.
4.4 Schulung und Prozessdokumentation
- Schulungen für Marktpartner zur korrekten Anwendung der Zuordnungsregeln.
- Dokumentationspflichten für die Hierarchie von Zählpunkten, TR und SR, um im Streitfall nachweisen zu können.
5. Fazit
Die unklare hierarchische Zuordnung zwischen MaBiS-ZP, Technischer Ressource und Steuerbarer Ressource gefährdet die Prozesssicherheit in der Marktkommunikation und führt zu erheblichen regulatorischen und finanziellen Risiken. Durch klare Definitionen, technische Standardisierung und regulatorische Klarstellungen können diese Probleme behoben werden. Andernfalls drohen Abrechnungsfehler, Compliance-Verstöße und Haftungsrisiken, die die Stabilität des Energiemarktes beeinträchtigen.
Empfehlung: Marktpartner sollten proaktiv ihre internen Prozesse überprüfen und auf eindeutige Zuordnungen hinwirken. Die BNetzA sollte zeitnah Leitlinien veröffentlichen, um Rechtsunsicherheiten zu beseitigen.