Einfluss der zeitlichen Diskrepanz zwischen Gültigkeitsbeginn (DTM+157) und Empfangszeitpunkt auf die Prozesssicherheit in der Abrechnung sowie regulatorische und vertragliche Konsequenzen
1. Prozessuale Auswirkungen der zeitlichen Diskrepanz
Die im UTILTS-Segment (SG5, DTM+157) hinterlegte Gültigkeitsbeginn-Datum definiert den Zeitpunkt, ab dem die übermittelte Information (z. B. Zählwerte, Tarifänderungen oder Vertragsparameter) für die Abrechnung relevant ist. Eine zeitliche Diskrepanz zwischen diesem Datum und dem tatsächlichen Empfangszeitpunkt des UTILTS kann zu erheblichen Störungen in der Abrechnungskette führen, insbesondere in folgenden Bereichen:
a) Abrechnungsrelevante Datenintegrität
- Rückwirkende Korrekturen: Liegt das Gültigkeitsbeginn-Datum vor dem Empfangszeitpunkt, müssen Netzbetreiber und Lieferant rückwirkend Abrechnungsdaten anpassen. Dies erfordert manuelle Nachbearbeitung, erhöht das Fehlerrisiko (z. B. falsche Zuordnung von Zählwerten) und verzögert die Rechnungsstellung.
- Datenlücken: Bei verspätetem Empfang können Abrechnungszeiträume unvollständig sein, was zu unterjährigen Korrekturen oder Nachbelastungen führt. Dies widerspricht dem Grundsatz der zeitnahen und transparenten Abrechnung (§ 40 EnWG).
- Synchronisation mit Marktprozessen: Die Diskrepanz kann die Wechselprozesse im Messwesen (WiM) oder die Bilanzkreisabrechnung beeinträchtigen, da Fristen für die Meldung von Zählwerten (z. B. nach GPKE) nicht eingehalten werden.
b) Automatisierte Prozesse und Schnittstellen
- EDIFACT-Validierung: Viele Systeme prüfen das Gültigkeitsdatum gegen den Empfangszeitpunkt. Bei Abweichungen wird die Nachricht oft als fehlerhaft markiert (z. B. mit APERAK-Statuscode "E03" – "Datum in der Vergangenheit"), was manuelle Freigaben erfordert.
- Workflow-Unterbrechungen: Automatisierte Abrechnungssysteme (z. B. SAP IS-U) können bei rückwirkenden Datensätzen Prozessabbrüche verursachen, da sie nicht für die Verarbeitung historischer Daten ausgelegt sind.
2. Regulatorische Konsequenzen
Die Diskrepanz berührt mehrere rechtliche und regulatorische Vorgaben, die für Netzbetreiber und Lieferanten verbindlich sind:
a) Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und Messstellenbetriebsgesetz (MsbG)
- § 40 EnWG (Abrechnung): Verpflichtet Netzbetreiber und Lieferanten zu einer korrekten, vollständigen und fristgerechten Abrechnung. Verspätete oder rückwirkende Daten führen zu Verstößen gegen die Transparenzpflicht.
- § 60 MsbG (Datenkommunikation): Fordert eine zeitnahe Übermittlung von Messwerten. Eine Diskrepanz kann als Verzögerung der Datenbereitstellung gewertet werden, was Bußgelder nach § 95 EnWG nach sich ziehen kann.
- GPKE (Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität): Die GPKE sieht klare Fristen für die Übermittlung von Zählwerten vor (z. B. T+1 für Standardlastprofilkunden). Eine rückwirkende Korrektur ist nur in Ausnahmefällen zulässig und muss dokumentiert werden.
b) Festlegungen der Bundesnetzagentur (BNetzA)
- Festlegung MaBiS (Marktregeln für die Bilanzkreisabrechnung Strom): Die MaBiS verlangt, dass Abrechnungsdaten spätestens zum 15. Werktag des Folgemonats vorliegen. Verspätete UTILTS-Nachrichten können zu Bilanzkreisabweichungen führen, die mit Ausgleichsenergiekosten sanktioniert werden.
- Festlegung WiM (Wechselprozesse im Messwesen): Die WiM regelt die Fristen für die Übermittlung von Zählwerten (z. B. T+1 für registrierende Leistungsmessung). Eine Diskrepanz kann die Pünktlichkeit der Wechselprozesse gefährden und zu Vertragsstrafen führen.
c) Vertragliche Vereinbarungen (Lieferantenrahmenverträge, Netznutzungsverträge)
- Pönalen bei Fristüberschreitungen: Viele Verträge sehen Vertragsstrafen vor, wenn Daten nicht fristgerecht übermittelt werden (z. B. 50 € pro verspäteter Nachricht).
- Haftung für Abrechnungsfehler: Bei rückwirkenden Korrekturen haften Netzbetreiber und Lieferant gemeinsam für entstandene Schäden (z. B. Zinsverluste durch verspätete Rechnungsstellung).
- Dokumentationspflichten: Nach § 50 EnWG müssen alle Abrechnungsdaten revisionssicher archiviert werden. Diskrepanzen erfordern zusätzliche Nachweispflichten, um Compliance zu gewährleisten.
3. Rollenverteilung und Verantwortlichkeiten
Die Verantwortung für die zeitliche Konsistenz ist zwischen Netzbetreiber und Lieferant klar aufgeteilt:
a) Netzbetreiber (Verantwortung für Datenbereitstellung)
- Pflicht zur fristgerechten Übermittlung: Der Netzbetreiber muss sicherstellen, dass UTILTS-Nachrichten rechtzeitig (gemäß GPKE/MaBiS) und mit korrektem Gültigkeitsdatum versendet werden.
- Korrekturmechanismen: Bei rückwirkenden Datensätzen muss der Netzbetreiber proaktiv kommunizieren (z. B. via APERAK) und ggf. manuelle Freigaben einholen.
- Technische Validierung: Der Netzbetreiber ist für die Konsistenzprüfung der EDIFACT-Nachrichten verantwortlich (z. B. Abgleich DTM+157 mit Empfangszeitpunkt).
b) Lieferant (Verantwortung für Datenverarbeitung)
- Plausibilitätsprüfung: Der Lieferant muss eingehende UTILTS-Nachrichten auf zeitliche Konsistenz prüfen und bei Diskrepanzen Rückfragen stellen (z. B. via APERAK mit Statuscode "E03").
- Abrechnungsanpassung: Bei rückwirkenden Datensätzen muss der Lieferant manuelle Korrekturen vornehmen (z. B. Stornierung und Neubuchung von Rechnungen).
- Meldung an Bilanzkreisverantwortlichen (BKV): Verspätete oder fehlerhafte Daten müssen dem BKV gemeldet werden, um Bilanzkreisabweichungen zu vermeiden.
c) Gemeinsame Pflichten
- Dokumentation der Abweichungen: Beide Parteien müssen Diskrepanzen protokollieren (z. B. in einem Fehlerlog), um Compliance nachzuweisen.
- Regelmäßige Abstimmung: Netzbetreiber und Lieferant sollten monatliche Qualitätsreviews durchführen, um zeitliche Diskrepanzen frühzeitig zu erkennen.
4. Handlungsempfehlungen zur Risikominimierung
Um die Prozesssicherheit zu erhöhen und regulatorische Risiken zu vermeiden, sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:
Automatisierte Validierung
- Implementierung von EDIFACT-Prüfregeln, die Diskrepanzen zwischen DTM+157 und Empfangszeitpunkt automatisch erkennen und melden.
- Nutzung von APERAK-Nachrichten zur standardisierten Fehlerkommunikation.
Fristenmanagement
- Einhaltung der GPKE- und MaBiS-Fristen durch automatisierte Erinnerungen und Eskalationsprozesse.
- Definition von SLA (Service Level Agreements) für die Bearbeitung rückwirkender Datensätze.
Dokumentation und Nachweispflichten
- Revisionssichere Archivierung aller UTILTS-Nachrichten inkl. Empfangszeitpunkt und Gültigkeitsdatum.
- Protokollierung von Korrekturen (z. B. in einem Change-Log), um Compliance nach § 50 EnWG sicherzustellen.
Regelmäßige Schulungen
- Sensibilisierung der Mitarbeiter für die Bedeutung des Gültigkeitsdatums und die Konsequenzen von Diskrepanzen.
- Schulungen zu APERAK-Statuscodes und Fehlerbehebungsprozessen.
Fazit
Die zeitliche Diskrepanz zwischen Gültigkeitsbeginn (DTM+157) und Empfangszeitpunkt stellt ein erhebliches Risiko für die Abrechnungsprozesse dar. Sie gefährdet die Datenintegrität, führt zu manuellen Korrekturaufwänden und kann regulatorische Sanktionen nach sich ziehen. Eine klare Rollenverteilung, automatisierte Prüfmechanismen und dokumentierte Prozesse sind essenziell, um die Compliance mit EnWG, MsbG und den Festlegungen der BNetzA sicherzustellen. Netzbetreiber und Lieferanten sollten proaktiv zusammenarbeiten, um Diskrepanzen frühzeitig zu erkennen und zu beheben.