Einfluss der zeitlichen Diskrepanz zwischen Zuordnungsstatus und Geschäftsvorfall auf die Prozesssicherheit in der Marktkommunikation – Regulatorische und operative Lösungsansätze
1. Problemstellung: Zeitliche Diskrepanz und ihre Auswirkungen
In der Marktkommunikation – insbesondere in regulierten Bereichen wie der Energiewirtschaft – führt eine zeitliche Inkongruenz zwischen dem Zuordnungsstatus eines Empfängers (definiert durch das Zuordnungstupel, z. B. Z24) und dem tatsächlichen Geschäftsvorfall (z. B. Messwertübermittlung, Vertragsänderung) zu erheblichen Prozessrisiken. Diese Diskrepanz tritt auf, wenn:
- Der Empfänger zum Zeitpunkt des Geschäftsvorfalls nicht mehr (oder noch nicht) dem im Zuordnungstupel referenzierten Objekt (z. B. Marktpartner, Messstelle) zugeordnet ist (Status Z26).
- Die Systeme der Marktkommunikation (z. B. MaBiS, GPKE) asynchrone Aktualisierungen von Zuordnungsdaten verarbeiten, während Geschäftsvorfälle in Echtzeit oder mit festen Fristen abgewickelt werden müssen.
Konkrete Risiken für die Prozesssicherheit
Fehlleitung von Nachrichten
- Nachrichten (z. B. Wechselprozesse, Abrechnungsdaten) werden an den falschen Marktpartner gesendet, da die Zuordnung zum Zeitpunkt des Versands nicht mehr gültig ist.
- Folge: Datenverlust, manuelle Nachbearbeitung, Verzögerungen in der Lieferkette (z. B. verzögerte Belieferung von Endkunden).
Rechtliche und regulatorische Konsequenzen
- Verstöße gegen § 40 EnWG (Pflicht zur korrekten Marktkommunikation) oder GPKE-Vorgaben (z. B. Fristen für Wechselprozesse).
- Haftungsrisiken bei fehlerhaften Abrechnungen oder nicht fristgerechter Datenübermittlung (z. B. nach StromNZV oder GasNZV).
Operative Ineffizienzen
- Manuelle Klärungsprozesse zwischen Netzbetreibern, Lieferanten und Messstellenbetreibern erhöhen den Aufwand.
- Erhöhte Fehleranfälligkeit durch Medienbrüche (z. B. manuelle Korrekturen in Excel-Listen statt automatisierter Systemabgleiche).
Datenintegrität und Compliance
- Inkonsistente Datenbestände in den Systemen der Marktteilnehmer (z. B. unterschiedliche Zuordnungsstände in MaBiS und GPKE).
- Schwierigkeiten bei der Revisionssicherheit und Nachweispflicht gegenüber der Bundesnetzagentur (BNetzA).
2. Regulatorische Mechanismen zur Schließung der Lücke
Die bestehenden regulatorischen Rahmenwerke enthalten bereits Ansätze, um zeitliche Diskrepanzen zu minimieren. Diese müssen jedoch konsequenter umgesetzt und technisch untermauert werden.
a) Synchronisation von Zuordnungsdaten (GPKE/MaBiS)
Verpflichtende Echtzeit-Schnittstellen Die GPKE-Festlegungen (BK6-18-032) und MaBiS (BK6-17-160) sehen vor, dass Zuordnungsänderungen innerhalb von 24 Stunden an alle relevanten Marktpartner übermittelt werden müssen.
- Problem: Die Frist wird oft nicht eingehalten, oder Systeme verarbeiten die Daten asynchron.
- Lösung:
- Einführung automatisierter Plausibilitätsprüfungen in den Marktkommunikationssystemen, die Zuordnungsänderungen mit Geschäftsvorfällen abgleichen.
- Strafen für Nichteinhaltung der 24-Stunden-Frist (analog zu § 65 EnWG bei Meldeverstößen).
Zentrales Zuordnungsregister (ZR) Ein bundesweites, digitales Register (ähnlich dem Marktstammdatenregister), das alle Zuordnungen in Echtzeit abbildet und von allen Marktteilnehmern genutzt werden muss.
- Vorteile:
- Eliminierung von Redundanzen (z. B. unterschiedliche Zuordnungsstände bei Netzbetreibern und Lieferanten).
- Automatisierte Validierung von Geschäftsvorfällen gegen den aktuellen Zuordnungsstatus.
- Vorteile:
b) Fristen und Eskalationsmechanismen
Verlängerte Vorlaufzeiten für kritische Prozesse Bei Prozessen mit hohem Fehlerrisiko (z. B. Lieferantenwechsel) sollte die Zuordnung mindestens 48 Stunden vor dem geplanten Vorfall final sein.
- Umsetzung:
- Technische Sperrfristen in den Marktkommunikationssystemen, die Geschäftsvorfälle blockieren, wenn die Zuordnung nicht bestätigt ist.
- Automatisierte Warnmeldungen an alle beteiligten Parteien bei drohenden Diskrepanzen.
- Umsetzung:
Regulatorische Eskalation bei wiederholten Verstößen Die BNetzA könnte ein Punktesystem einführen, das bei häufigen Zuordnungsfehlern zu Ausschlüssen von Marktprozessen oder Geldstrafen führt.
3. Operative Maßnahmen zur Systematisierung
Neben regulatorischen Vorgaben sind technische und prozessuale Anpassungen erforderlich, um die Lücke zu schließen.
a) Technische Lösungen
Ereignisgesteuerte Architektur (Event-Driven Architecture, EDA)
- Geschäftsvorfälle und Zuordnungsänderungen werden als Ereignisse behandelt, die in Echtzeit an alle relevanten Systeme propagiert werden.
- Beispiel:
- Eine Zuordnungsänderung löst automatisch eine Prüfung aller offenen Geschäftsvorfälle aus, die das betroffene Tupel betreffen.
- Bei Diskrepanzen wird der Vorfall pausiert und eine manuelle Freigabe angefordert.
Blockchain-basierte Zuordnungsnachweise
- Eine dezentrale, unveränderliche Datenbank (z. B. auf Basis von Hyperledger Fabric) könnte Zuordnungsänderungen fälschungssicher dokumentieren.
- Vorteile:
- Alle Marktteilnehmer haben denselben Datenstand.
- Auditierbarkeit für die BNetzA und andere Aufsichtsbehörden.
Künstliche Intelligenz (KI) zur Fehlererkennung
- Machine-Learning-Modelle analysieren historische Daten, um Muster von Zuordnungsfehlern zu erkennen und proaktiv zu warnen.
- Beispiel:
- Ein Algorithmus erkennt, dass bestimmte Marktpartner häufig Zuordnungsänderungen kurz vor Fristabläufen vornehmen, und schlägt automatisierte Pufferzeiten vor.
b) Prozessuale Anpassungen
Standardisierte Fehlerbehandlung (Z26-Workflows)
- Einführung verbindlicher Eskalationspfade für den Status Z26:
- Automatische Benachrichtigung aller beteiligten Parteien.
- Priorisierte manuelle Prüfung innerhalb von 4 Stunden.
- Fristgebundene Korrektur (z. B. innerhalb von 24 Stunden), andernfalls Stornierung des Geschäftsvorfalls.
- Einführung verbindlicher Eskalationspfade für den Status Z26:
Regelmäßige Datenabgleiche (Reconciliation)
- Tägliche Synchronisation der Zuordnungsdaten zwischen allen Marktteilnehmern (z. B. via EDIFACT-Nachrichten oder API-Aufrufe).
- Monatliche Audits durch unabhängige Dritte (z. B. Zertifizierungsstellen), um Inkonsistenzen aufzudecken.
Schulungen und Verantwortlichkeiten
- Verpflichtende Schulungen für Mitarbeiter in Marktkommunikation und IT, um Zuordnungsrisiken zu erkennen.
- Klare Verantwortlichkeiten für Zuordnungsänderungen (z. B. nur bestimmte Rollen dürfen Tupel anpassen).
4. Fazit: Systematische Schließung der Lücke erfordert regulatorische und technische Maßnahmen
Die zeitliche Diskrepanz zwischen Zuordnungsstatus und Geschäftsvorfall ist ein strukturelles Problem, das durch isolierte Systeme, manuelle Prozesse und unklare Verantwortlichkeiten verstärkt wird. Eine nachhaltige Lösung erfordert:
- Regulatorische Verschärfungen (Echtzeit-Synchronisation, zentrale Register, Eskalationsmechanismen).
- Technische Modernisierung (EDA, Blockchain, KI-gestützte Fehlererkennung).
- Prozessuale Standardisierung (verbindliche Workflows, regelmäßige Audits).
Nur durch ein kombiniertes Vorgehen von Aufsichtsbehörden, Marktteilnehmern und IT-Dienstleistern lässt sich die Prozesssicherheit in der Marktkommunikation dauerhaft gewährleisten. Die BNetzA sollte hier eine führende Rolle einnehmen, indem sie bestehende Festlegungen (GPKE, MaBiS) um konkrete technische Vorgaben ergänzt und deren Einhaltung streng überwacht.