Einfluss der zeitlichen Synchronisation von Zeitstempeln auf die Risikoverteilung in der Lastgangabrechnung
Die korrekte zeitliche Synchronisation von Zeitstempeln (z. B. DTM+164:201010310200) in Marktprozessen ist ein zentraler Faktor für die faire und transparente Abrechnung von Lastgängen zwischen Netzbetreibern (NB) und Lieferanten (LF). Zeitstempel definieren den Gültigkeitszeitraum von Messwerten, Prognosen und Marktkommunikationsdaten (z. B. nach GPKE, MaBiS oder WiM). Abweichungen in der Interpretation oder technische Asynchronitäten können zu systematischen Risikoverschiebungen führen, die sich auf die Bilanzkreisabrechnung, Ausgleichsenergiekosten und regulatorische Compliance auswirken.
1. Risikoverteilung durch zeitliche Asymmetrien
a) Prognose- und Messwertabgleich
Lastgänge werden auf Basis von 15-Minuten-Intervallen (oder anderen granularen Zeitfenstern) abgerechnet. Die Zuordnung von Messwerten zu einem bestimmten Zeitstempel (z. B. DTM+164 für den Beginn eines Lieferzeitraums) entscheidet darüber, welcher Marktteilnehmer die Verantwortung für Abweichungen trägt:
- Netzbetreiber: Müssen sicherstellen, dass Messwerte korrekt erfasst und zeitlich zugeordnet werden. Verzögerungen oder falsche Zeitstempel führen zu fehlerhaften Bilanzkreisabrechnungen, da die physikalische Entnahme nicht mit den vertraglichen Lieferzeiträumen übereinstimmt.
- Lieferanten: Sind auf präzise Zeitstempel angewiesen, um Prognosen (z. B. Fahrpläne) mit den tatsächlichen Lastgängen abzugleichen. Asynchronitäten führen zu Ausgleichsenergiekosten, wenn die gelieferte Menge nicht mit der gemessenen Entnahme übereinstimmt.
b) Zeitliche Verschiebungen und ihre Folgen
- Uhrzeitdifferenzen (z. B. +00:303’): Selbst minimale Abweichungen (z. B. durch falsche Zeitzonenkonfiguration oder manuelle Eingabefehler) können zu Doppelerfassungen oder Lücken in der Abrechnung führen. Beispiel:
- Ein Lieferant meldet einen Fahrplan für
02:00–02:15 Uhr, der Netzbetreiber erfasst den Messwert jedoch für01:45–02:00 Uhr(aufgrund einer falschen UTC-Umrechnung). - Folge: Der Lieferant wird für eine nicht gelieferte Menge belastet, während der Netzbetreiber die tatsächliche Entnahme einem anderen Bilanzkreis zuordnet.
- Ein Lieferant meldet einen Fahrplan für
- Zeitstempel in Marktkommunikation: Bei der Übermittlung von
DTM+164-Nachrichten (z. B. für Lieferbeginn) muss sichergestellt sein, dass Sender und Empfänger den Zeitstempel identisch interpretieren. Unterschiedliche Systemzeiten oder fehlerhafte EDIFACT-Konvertierungen führen zu Dateninkonsistenzen.
c) Regulatorische und finanzielle Auswirkungen
- Bilanzkreisverantwortung: Nach § 12 StromNZV sind Lieferanten für die Einhaltung ihrer Fahrpläne verantwortlich. Zeitliche Fehlzuordnungen führen zu ungewollten Bilanzkreisabweichungen, die mit Ausgleichsenergiekosten (ca. 5–15 ct/kWh) belegt werden.
- Netzentgeltabrechnung: Netzbetreiber müssen nach § 17 EnWG eine diskriminierungsfreie Abrechnung gewährleisten. Zeitliche Asymmetrien können als Verstoß gegen die Gleichbehandlungspflicht gewertet werden.
- Streitigkeiten: Bei nachweisbaren Zeitstempelfehlern können Lieferanten Rückforderungen geltend machen, was zu langwierigen Schlichtungsverfahren führt (z. B. vor der Bundesnetzagentur).
2. Prozessuale Hebel zur Vermeidung von Asymmetrien
a) Technische Synchronisation
- Zeitserver und NTP-Protokoll
- Alle Marktteilnehmer müssen ihre Systeme über Network Time Protocol (NTP) mit einer zentralen Zeitquelle (z. B. PTB-Zeitserver) synchronisieren.
- Empfohlen: Maximale Abweichung von ±1 Sekunde (gemäß BDEW-Leitfaden zur Marktkommunikation).
- Zeitzonenkonfiguration
- Einheitliche Verwendung von UTC für alle Zeitstempel in der Marktkommunikation, um lokale Zeitzonenkonflikte zu vermeiden.
- Automatische Umrechnung in lokale Zeit nur für Endanwendungen (z. B. Kundenportale), nicht für Abrechnungsdaten.
- Validierung von EDIFACT-Nachrichten
- Prüfung von
DTM+164-Segmenten auf Plausibilität (z. B. keine Zeitstempel in der Zukunft, keine doppelten Einträge). - Einsatz von Syntax-Checkern (z. B. EDI@Energy-Validator), die Zeitstempel mit Referenzdaten abgleichen.
- Prüfung von
b) Organisatorische Maßnahmen
- Klare Verantwortlichkeiten
- Definition von Prozessverantwortlichen für die Zeitstempelpflege (z. B. IT-Administratoren, Marktkommunikationsbeauftragte).
- Dokumentation von Zeitstempelquellen (z. B. Messsysteme, ERP-Systeme) und deren Synchronisationsstatus.
- Regelmäßige Audits
- Vierteljährliche Überprüfung der Systemzeiten aller beteiligten IT-Systeme (Messstellen, Abrechnungssysteme, Marktkommunikationsplattformen).
- Stichprobenartige Plausibilitätsprüfungen von Lastgangdaten auf zeitliche Konsistenz.
- Schulungen und Arbeitsanweisungen
- Schulung von Mitarbeitern in der korrekten Handhabung von Zeitstempeln (z. B. bei manuellen Eingaben oder Systemmigrationen).
- Erstellung von Checklisten für die Freigabe von Abrechnungsdaten (z. B. "Wurde der Zeitstempel mit dem NTP-Server abgeglichen?").
c) Vertragliche und regulatorische Absicherung
- Standardisierte Zeitstempeldefinitionen
- Verwendung der EDI@Energy-Spezifikationen (z. B.
DTM+164für Lieferbeginn) ohne Abweichungen. - Festlegung von Toleranzgrenzen für Zeitstempelabweichungen in Lieferverträgen (z. B. "Zeitstempel gelten als synchron, wenn die Abweichung ≤1 Sekunde beträgt").
- Verwendung der EDI@Energy-Spezifikationen (z. B.
- Eskalationsmechanismen
- Klare Meldewege für Zeitstempelfehler (z. B. Hotline des Netzbetreibers für Lieferanten).
- Automatisierte Warnsysteme, die bei Zeitstempelabweichungen >1 Minute eine Benachrichtigung auslösen.
- Regulatorische Vorgaben
- Einhaltung der MaBiS- und GPKE-Anforderungen zur zeitlichen Konsistenz von Messwerten.
- Nutzung der BNetzA-Meldeplattform für systematische Zeitstempelfehler, um regulatorische Maßnahmen einzuleiten.
3. Fazit und Handlungsempfehlungen
Die zeitliche Synchronisation von Zeitstempeln ist ein kritischer Erfolgsfaktor für die risikofreie Abrechnung von Lastgängen. Asymmetrien führen zu:
- Finanziellen Verlusten (Ausgleichsenergie, Rückforderungen),
- Regulatorischen Risiken (Verstöße gegen EnWG/StromNZV),
- Operativen Ineffizienzen (manuelle Korrekturen, Streitigkeiten).
Empfohlene Maßnahmen:
- Technisch: Implementierung von NTP-Synchronisation, UTC-Nutzung und EDIFACT-Validierung.
- Organisatorisch: Regelmäßige Audits, Schulungen und klare Verantwortlichkeiten.
- Vertraglich: Standardisierte Zeitstempeldefinitionen und Eskalationsprozesse.
Durch diese Hebel lassen sich Datenasymmetrien minimieren und eine faire Risikoverteilung zwischen Netzbetreibern und Lieferanten sicherstellen. Bei anhaltenden Problemen sollte eine gemeinsame Arbeitsgruppe unter Einbindung der Bundesnetzagentur eingerichtet werden, um branchenweite Lösungen zu entwickeln.