Risikoverteilung bei automatisierter APERAK-Verarbeitung und notwendige Anpassungen
1. Veränderung der Risikoverteilung durch automatisierte APERAK-Akzeptanz
Die Automatisierung der APERAK-Nachrichtenverarbeitung (z. B. durch den Verzicht auf manuelle Plausibilitätsprüfungen) führt zu einer grundlegenden Verschiebung der Fehlerverantwortung zwischen den Marktteilnehmern – insbesondere Netzbetreibern (NB), Lieferanten (LF) und Messstellenbetreibern (MSB). Die bisherige Praxis manueller Prüfungen diente als Kontrollmechanismus, der Fehler frühzeitig identifizierte und eine korrigierende Intervention ermöglichte. Mit der Automatisierung entfällt diese Instanz, was folgende Konsequenzen hat:
a) Netzbetreiber (NB)
- Erhöhtes Haftungsrisiko bei Systemfehlern: Da der NB als zentrale Instanz für die Weiterleitung von APERAK-Nachrichten fungiert, trägt er bei automatisierter Verarbeitung die primäre Verantwortung für technische Fehler (z. B. falsche Weiterleitung, Datenverlust oder -verfälschung). Bisher konnten manuelle Prüfungen solche Fehler abfedern; nun liegt das Risiko vollständig beim NB, sofern keine redundanten Kontrollen implementiert sind.
- Prozessuale Abhängigkeit von vorgelagerten Akteuren: Fehler in den Daten der Lieferanten oder MSB (z. B. falsche Zählpunktzuordnungen, fehlerhafte Messwerte) werden ohne manuelle Prüfung direkt in die Systeme des NB übernommen. Dies kann zu falschen Abrechnungen oder regulatorischen Verstößen führen, für die der NB haftbar gemacht werden könnte.
b) Lieferanten (LF)
- Reduzierte Kontrollmöglichkeiten, aber höhere Sorgfaltspflicht: Lieferanten müssen sicherstellen, dass ihre Daten (z. B. Lieferbeginn/-ende, Zählpunktdaten) fehlerfrei sind, da automatisierte Systeme keine Plausibilitätsprüfung mehr vornehmen. Fehlerhafte Meldungen (z. B. falsche Wechseltermine) führen direkt zu Abrechnungsdifferenzen, für deren Korrektur der LF aufwendige Nachbearbeitungen leisten muss.
- Erhöhtes Reputationsrisiko: Da Fehler schneller sichtbar werden (z. B. durch automatisierte Rechnungsstellung), steigt das Risiko von Kundenbeschwerden oder regulatorischen Sanktionen.
c) Messstellenbetreiber (MSB)
- Direkte Verantwortung für Datenqualität: Der MSB ist für die korrekte Erfassung und Übermittlung von Messwerten verantwortlich. Automatisierte APERAK-Verarbeitung bedeutet, dass fehlerhafte Messdaten (z. B. durch defekte Zähler) ohne manuelle Prüfung in die Abrechnung einfließen. Dies kann zu falschen Energiemengen und damit zu finanziellen Verlusten für NB oder LF führen.
- Technische Schnittstellenrisiken: Da der MSB oft als Datenlieferant fungiert, müssen seine Systeme nahtlos mit denen des NB und LF interagieren. Inkompatibilitäten oder Übertragungsfehler werden nicht mehr manuell abgefangen, was zu Datenverlusten oder -verzögerungen führen kann.
2. Prozessuale und regulatorische Anpassungen zur Risikominimierung
Um die Risikoverschiebung auszugleichen, sind sowohl prozessuale als auch regulatorische Maßnahmen erforderlich. Diese sollten sicherstellen, dass die Automatisierung nicht zu einer einseitigen Belastung einzelner Marktteilnehmer führt.
a) Prozessuale Anpassungen
Redundante Kontrollmechanismen
- Automatisierte Plausibilitätsprüfungen: Auch bei Automatisierung sollten kritische Daten (z. B. Zählpunktänderungen, Messwertsprünge) durch Algorithmen auf Auffälligkeiten geprüft werden. Beispielsweise könnten Abweichungen von historischen Verbrauchswerten oder unplausible Wechseltermine automatisch markiert und zur manuellen Prüfung weitergeleitet werden.
- Stichprobenartige manuelle Kontrollen: Eine vollständige Abschaffung manueller Prüfungen ist nicht sinnvoll. Stattdessen sollten zufällige oder risikobasierte Stichproben (z. B. bei neuen Lieferanten oder ungewöhnlichen Verbrauchsmustern) beibehalten werden.
Klare Verantwortungszuweisung in den Prozessen
- Dokumentation von Datenflüssen: Jeder Marktteilnehmer muss nachweisen können, dass seine Daten korrekt übermittelt wurden. Dies erfordert eine lückenlose Protokollierung aller APERAK-Nachrichten (z. B. Zeitstempel, Absender, Inhalte).
- Fehlereskalationsprozesse: Es müssen klare Regeln definiert werden, wie Fehler identifiziert, kommuniziert und behoben werden. Beispielsweise könnte ein automatisiertes Ticket-System eingerichtet werden, das bei Auffälligkeiten alle betroffenen Parteien informiert.
Technische Schnittstellenstandards
- Einheitliche Datenformate und Validierungsregeln: Um Übertragungsfehler zu minimieren, sollten alle Marktteilnehmer verbindliche Standards für APERAK-Nachrichten einhalten (z. B. durch Erweiterung der GPKE- oder MaBiS-Vorgaben).
- Testumgebungen für neue Systeme: Vor der Einführung automatisierter Prozesse sollten alle Beteiligten ihre Systeme in einer kontrollierten Umgebung (z. B. einem Marktkommunikations-Testsystem) prüfen, um Inkompatibilitäten zu vermeiden.
b) Regulatorische Anpassungen
Haftungsregelungen im Fehlerfall
- Klare Zuweisung der Beweislast: Die StromNZV und GasNZV sollten präzisieren, wer im Fehlerfall die Verantwortung trägt. Beispielsweise könnte der Lieferant für falsche Wechselmeldungen haften, während der NB für technische Übertragungsfehler verantwortlich ist.
- Schadensersatzregelungen: Es sollte ein Mechanismus eingeführt werden, der bei automatisierten Fehlern eine schnelle Kompensation ermöglicht (z. B. durch eine Clearingstelle, die Differenzen ausgleicht).
Anpassung der Marktkommunikationsvorgaben
- Erweiterung der GPKE/MaBiS um Automatisierungsanforderungen: Die bestehenden Regelwerke sollten um Vorgaben für automatisierte APERAK-Verarbeitung ergänzt werden, z. B.:
- Mindestanforderungen an Datenqualität (z. B. Validierung von Zählpunktnummern).
- Pflicht zur Protokollierung aller Nachrichten.
- Fristen für die Bearbeitung von Fehlermeldungen.
- Regelmäßige Audits: Die Bundesnetzagentur (BNetzA) sollte prüfen, ob die automatisierten Prozesse den Vorgaben entsprechen, und bei Verstößen Sanktionen verhängen.
- Erweiterung der GPKE/MaBiS um Automatisierungsanforderungen: Die bestehenden Regelwerke sollten um Vorgaben für automatisierte APERAK-Verarbeitung ergänzt werden, z. B.:
Einführung von Ausgleichsmechanismen
- Risikopools für automatisierte Fehler: Ähnlich wie bei der Bilanzkreisabrechnung könnte ein Fonds eingerichtet werden, der finanzielle Verluste aus automatisierten Fehlern ausgleicht. Die Beiträge könnten nach Marktanteilen oder Fehlerhäufigkeit gestaffelt werden.
- Standardisierte Fehlerkorrekturprozesse: Es sollten verbindliche Fristen und Verfahren für die Nachbearbeitung von Fehlern definiert werden (z. B. Rückabwicklung falscher Wechselmeldungen innerhalb von 10 Werktagen).
3. Fazit
Die Automatisierung der APERAK-Verarbeitung bietet Effizienzgewinne, führt jedoch zu einer asymmetrischen Risikoverteilung, bei der Netzbetreiber und Messstellenbetreiber stärker belastet werden. Um dies auszugleichen, sind technische, prozessuale und regulatorische Anpassungen notwendig:
- Technisch: Automatisierte Plausibilitätsprüfungen, einheitliche Schnittstellenstandards.
- Prozessual: Klare Verantwortungszuweisung, Fehlereskalationsprozesse, Stichprobenkontrollen.
- Regulatorisch: Haftungsregelungen, erweiterte Marktkommunikationsvorgaben, Ausgleichsmechanismen.
Ohne diese Maßnahmen besteht die Gefahr, dass die Automatisierung zu höheren Fehlerkosten, rechtlichen Auseinandersetzungen und Vertrauensverlusten im Markt führt. Eine schrittweise Einführung mit begleitender Evaluation durch die BNetzA wäre daher ratsam.