Willi Mako
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Dezentrale Energie: Neue Marktlogik für Prosumer 2025

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Veränderung der Geschäftslogik in der Marktkommunikation durch dezentrale Energieerzeugung Stand: April 2025 | Version 1.0


1. Grundlegende Verschiebung der Marktrollen und Prozesse

Die zunehmende Dezentralisierung der Energieerzeugung – insbesondere durch Prosumer (privathaushalte oder gewerbliche Akteure, die Strom erzeugen und verbrauchen) – führt zu einer Fragmentierung der klassischen Wertschöpfungskette im Energiemarkt. Während traditionell wenige große Erzeuger und Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) die Marktkommunikation dominierten, entstehen nun viele kleine, volatile Einspeisepunkte, die in Echtzeit mit dem System interagieren müssen.

Dies hat direkte Auswirkungen auf die Marktkommunikation (MaKo), die gemäß den regulatorischen Vorgaben der Bundesnetzagentur (BNetzA) und des Marktkommunikationsgesetzes (MaKoG) organisiert ist. Die bisherigen Prozesse – etwa die Bilanzkreisabrechnung, Fahrplanmanagement oder die EEG-Umlagenabwicklung – wurden für zentrale Strukturen konzipiert. Dezentrale Akteure erfordern jedoch:

  • Bidirektionale Datenflüsse (z. B. für Einspeisemanagement, Laststeuerung oder Flexibilitätsmärkte),
  • Echtzeitfähige Kommunikationsprotokolle (z. B. über EDIFACT, AS4 oder moderne APIs),
  • Automatisierte Abrechnungs- und Meldeprozesse, um die Skalierbarkeit zu gewährleisten.

2. Regulatorische Herausforderungen: MaKo im Spannungsfeld zwischen Standardisierung und Flexibilität

Die Marktkommunikation (MaKo) ist durch detaillierte Vorgaben geprägt, die ursprünglich für stabile, planbare Erzeugungsstrukturen entwickelt wurden. Die Dezentralisierung stellt diese Rahmenbedingungen vor drei zentrale Probleme:

a) Skalierbarkeit der Prozesse

  • Problem: Jeder Prosumer wird zum Bilanzkreisverantwortlichen (BKV) oder muss über einen Einspeiseverantwortlichen (EIV) in die Marktkommunikation eingebunden werden. Die bisherige MaKo sieht jedoch manuelle oder halbautomatisierte Prozesse vor, die bei Millionen dezentraler Anlagen an Grenzen stoßen.
  • Lösungsansätze:
    • Automatisierte Registrierung und Zertifizierung (z. B. über digitale Identitäten oder Blockchain-basierte Nachweise).
    • Standardisierte Schnittstellen (z. B. MaKo 2.0, das ab 2025 schrittweise eingeführt wird) für die Anbindung von Prosumern an Marktpartner.
    • Aggregatoren als Mittler, die kleine Erzeuger bündeln und deren Daten gebündelt in die MaKo einspeisen.

b) Datenqualität und -verfügbarkeit

  • Problem: Dezentrale Anlagen liefern hochfrequente, volatile Daten (z. B. 15-Minuten-Werte für Einspeisung und Verbrauch). Die MaKo verlangt jedoch stundenscharfe oder tagesgenaue Meldungen, was zu Inkonsistenzen in der Bilanzierung führen kann.
  • Lösungsansätze:
    • Echtzeit-Datenübertragung über Smart Meter Gateway (SMGW) und CIM-basierte Schnittstellen (Common Information Model).
    • Künstliche Intelligenz (KI) für Datenvalidierung, um Fehler in den Meldungen frühzeitig zu erkennen.
    • Anpassung der MaKo-Vorgaben (z. B. kürzere Meldeintervalle für dezentrale Akteure).

c) Komplexität der Abrechnungssysteme

  • Problem: Prosumer sind oft gleichzeitig Erzeuger, Verbraucher und Flexibilitätsanbieter. Die MaKo sieht jedoch getrennte Prozesse für Einspeisung, Bezug und Regelenergie vor, was zu Doppelerfassungen und Abrechnungsfehlern führen kann.
  • Lösungsansätze:
    • Integrierte Abrechnungsmodelle, die alle Rollen eines Prosumers in einem einheitlichen Datenstrom abbilden.
    • Dynamische Tarifmodelle, die Flexibilität belohnen (z. B. Time-of-Use-Tarife oder Peer-to-Peer-Handel).
    • Regulatorische Klarstellungen, z. B. zur EEG-Umlagenpflicht bei Eigenverbrauch oder zur Bilanzkreiszuordnung von Speichern.

3. Technologische Anpassungen: Von EDIFACT zu Echtzeit-APIs

Die traditionelle Marktkommunikation basiert auf Batch-Prozessen (z. B. tägliche Fahrplanmeldungen per EDIFACT). Dezentrale Akteure benötigen jedoch Echtzeit- oder Near-Real-Time-Kommunikation. Hier sind die wichtigsten Entwicklungen:

a) Protokolle und Schnittstellen

  • AS4 (Applicability Statement 4): Wird zunehmend für sichere, verschlüsselte Datenübertragung eingesetzt (z. B. für Bilanzkreisabrechnung).
  • REST-APIs und GraphQL: Ermöglichen flexible, bidirektionale Datenabfragen (z. B. für dynamische Laststeuerung).
  • CIM (Common Information Model): Standardisiert die Datenmodellierung für dezentrale Anlagen (z. B. in MaKo 2.0).

b) Smart Meter und Gateway-Administration

  • Smart Meter Gateway (SMGW): Dient als zentrale Datendrehscheibe für Prosumer und ermöglicht:
    • Echtzeit-Messwerte für Einspeisung und Verbrauch,
    • Sichere Kommunikation mit Marktpartnern (z. B. über TLS 1.3),
    • Automatisierte Meldungen an ÜNB, VNB und Bilanzkreisverantwortliche.
  • Herausforderung: Die Rollout-Pflicht für SMGW (gemäß Messstellenbetriebsgesetz) ist noch nicht flächendeckend umgesetzt, was die Datenverfügbarkeit einschränkt.

c) Blockchain und dezentrale Identitäten

  • Blockchain: Wird in Pilotprojekten (z. B. Brooklyn Microgrid) für Peer-to-Peer-Handel und automatisierte Abrechnung getestet.
  • Dezentrale Identitäten (DID): Ermöglichen selbstsouveräne Datenhoheit für Prosumer (z. B. über SSI – Self-Sovereign Identity).
  • Regulatorische Hürden: Die MaKo sieht keine Blockchain-basierten Prozesse vor, was die Skalierung erschwert.

4. Wirtschaftliche Implikationen: Neue Geschäftsmodelle und Kostenstrukturen

Die Dezentralisierung verändert nicht nur die technischen Prozesse, sondern auch die ökonomischen Rahmenbedingungen der Marktkommunikation:

a) Neue Marktrollen und Dienstleister

  • Aggregatoren: Bündeln kleine Erzeuger und vermarkten deren Flexibilität (z. B. für Regelenergie oder lokale Energiemärkte).
  • Virtuelle Kraftwerke (VKW): Steuern dezentrale Anlagen zentral und optimieren deren Betrieb.
  • Datenplattformen: Bieten Prognose- und Abrechnungsdienstleistungen für Prosumer an (z. B. EnBW, E.ON, Next Kraftwerke).

b) Kostenverlagerung und Effizienzgewinne

  • Kostensenkung durch Automatisierung: Manuelle Prozesse (z. B. Fahrplanmeldungen) werden durch KI-gestützte Systeme ersetzt.
  • Neue Einnahmequellen: Prosumer können Flexibilität vermarkten (z. B. über Flexibilitätsmärkte oder Dynamische Netzentgelte).
  • Regulatorische Kosten: Die Anpassung der MaKo an dezentrale Strukturen erfordert Investitionen in IT-Infrastruktur (z. B. für Echtzeit-Bilanzierung).

c) Risikomanagement und Compliance

  • Höhere Anforderungen an die Datenintegrität: Fehler in der Marktkommunikation können zu Strafzahlungen oder Netzstabilitätsproblemen führen.
  • Cybersicherheit: Dezentrale Anlagen sind Ziel von Hackerangriffen (z. B. auf SMGW oder Steuerungssysteme).
  • Regulatorische Unsicherheit: Die MaKo wird schrittweise angepasst (z. B. durch MaKo 2.0), was kurzfristig zu Umstellungsaufwand führt.

5. Ausblick: Die Zukunft der Marktkommunikation

Bis 2030 wird sich die Marktkommunikation grundlegend wandeln:

  • Vollständige Digitalisierung: Manuelle Prozesse werden durch automatisierte, KI-gestützte Systeme ersetzt.
  • Echtzeit-Marktkommunikation: Die MaKo wird dynamischer, mit 15-Minuten- oder sogar Sekundentakt für kritische Daten.
  • Dezentrale Marktplätze: Prosumer handeln direkt miteinander (z. B. über Peer-to-Peer-Plattformen), während Aggregatoren die technische und regulatorische Komplexität managen.
  • Regulatorische Harmonisierung: Die EU-Energiebinnenmarkt-Richtlinie (RED III) und nationale Gesetze (z. B. Strommarktgesetz 2.0) werden einheitliche Standards für dezentrale Akteure schaffen.

6. Handlungsempfehlungen für Marktteilnehmer

Akteur Empfehlung
Netzbetreiber - Investition in Echtzeit-Dateninfrastruktur (z. B. SMGW, CIM-Schnittstellen).
- Entwicklung dynamischer Netzentgelte für Flexibilität.
Energieversorger - Aufbau digitaler Plattformen für Prosumer (z. B. Abrechnung, Flexibilitätsvermarktung).
- Partnerschaften mit Aggregatoren und VKW.
Prosumer - Nutzung automatisierter Abrechnungssysteme (z. B. über SMGW).
- Teilnahme an Flexibilitätsmärkten oder lokalen Energiegemeinschaften.
Regulierer (BNetzA) - Beschleunigung der MaKo-Reform (z. B. kürzere Meldeintervalle, API-Standards).
- Klärung offener Fragen (z. B. Bilanzkreiszuordnung von Speichern).

Fazit

Die Dezentralisierung der Energieerzeugung erzwingt eine Neuausrichtung der Marktkommunikation – weg von starren, zentralisierten Prozessen hin zu flexiblen, bidirektionalen und automatisierten Systemen. Während die regulatorischen Vorgaben (MaKo) noch nicht vollständig an die neuen Realitäten angepasst sind, zeigen technologische Innovationen (SMGW, APIs, Blockchain) bereits Lösungswege auf. Die größten Herausforderungen liegen in der Skalierbarkeit, Datenqualität und regulatorischen Harmonisierung. Marktteilnehmer, die frühzeitig in digitale Infrastruktur und neue Geschäftsmodelle investieren, werden von der Transformation profitieren.

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