Einfluss der logischen Verknüpfung von Bilanzierungsmonat und dynamischen Zeiträumen (DTM-Segmente) auf die prozessuale Risikoverteilung bei der Energiemengenabrechnung
1. Grundlagen der logischen Verknüpfung
Die Abrechnung von Energiemengen im liberalisierten Energiemarkt basiert auf einer klaren Zuordnung von Messwerten zu definierten Zeiträumen. Dabei spielen zwei zentrale Elemente eine Rolle:
- Bilanzierungsmonat (SG6): Dieser legt den kalendarischen Monat fest, für den die Energiemengen bilanziell erfasst und abgerechnet werden.
- Dynamische Zeiträume (DTM-Segmente): Die Segmente „Beginn Messperiode Übertragungszeitraum“ und „Ende Messperiode Übertragungszeitraum“ definieren den exakten Zeitraum, innerhalb dessen Messwerte vollständig vorliegen müssen.
Die logische Verknüpfung dieser beiden Parameter bestimmt, welche Messdaten in die Abrechnung einfließen und wie die Verantwortung für Datenlücken zwischen Netzbetreiber und Lieferant verteilt wird.
2. Prozessuale Risikoverteilung zwischen Netzbetreiber und Lieferant
Die Kombination aus Bilanzierungsmonat und DTM-Segmenten führt zu einer asymmetrischen Risikoverteilung, die sich wie folgt auswirkt:
a) Verantwortung des Netzbetreibers
Der Netzbetreiber ist für die vollständige und korrekte Erfassung sowie Übermittlung der Messdaten verantwortlich. Dies umfasst:
- Die technische Verfügbarkeit der Messinfrastruktur (z. B. Zähler, Datenlogger).
- Die zeitnahe Übertragung der Messwerte innerhalb der im DTM-Segment definierten Periode.
- Die Plausibilisierung der Daten, um offensichtliche Fehler (z. B. Nullwerte, Sprünge) zu erkennen.
Risiko: Liegen Messwerte außerhalb des DTM-Zeitraums oder sind unvollständig, trägt der Netzbetreiber das Risiko einer nachträglichen Korrektur oder Schätzung (z. B. nach § 60 Abs. 2 EnWG). Dies kann zu Rückforderungen oder Ausgleichsenergiekosten führen, wenn die Abweichung erst nach der Bilanzkreisabrechnung auffällt.
b) Verantwortung des Lieferanten
Der Lieferant ist für die ordnungsgemäße Nutzung der übermittelten Daten im Rahmen der Bilanzkreisbewirtschaftung verantwortlich. Seine Pflichten umfassen:
- Die Prüfung der Vollständigkeit der übermittelten Messwerte innerhalb des DTM-Zeitraums.
- Die zeitnahe Meldung von Datenlücken an den Netzbetreiber, um Korrekturen zu ermöglichen.
- Die Anpassung der Prognosen und Fahrpläne, falls Messwerte fehlen oder verzögert eintreffen.
Risiko: Unterlässt der Lieferant die Prüfung oder reagiert nicht auf Datenlücken, trägt er das Risiko von Bilanzabweichungen, die zu Ausgleichsenergiekosten oder Vertragsstrafen führen können. Zudem kann eine verspätete Meldung von Fehlern die Nachweispflicht des Lieferanten erschweren.
c) Schnittstellenrisiko: Wer haftet bei unklaren Zeiträumen?
Ein zentrales Problem entsteht, wenn der Bilanzierungsmonat und die DTM-Segmente nicht deckungsgleich sind. Beispiel:
- Der Bilanzierungsmonat ist der Januar, die DTM-Segmente definieren jedoch einen Zeitraum vom 15. Dezember bis 15. Januar.
- In diesem Fall müssen Messwerte für den 15.–31. Dezember bereits im Januar vorliegen, obwohl sie bilanziell dem Vormonat zuzuordnen sind.
Folge: Es entsteht eine Grauzone, in der unklar ist, wer für die Vollständigkeit der Daten verantwortlich ist. Hier greifen oft vertragliche Regelungen (z. B. Lieferantenrahmenverträge) oder marktliche Konventionen (z. B. GPKE), die eine vorrangige Verantwortung des Netzbetreibers für die Datenbereitstellung vorsehen.
3. Regulatorische Spielräume für die Definition von Vollständigkeitskriterien
Die Ausgestaltung der Vollständigkeitskriterien ist nicht vollständig durch das EnWG oder die MaBiS vorgegeben, sondern lässt interpretatorische und vertragliche Spielräume zu. Diese ergeben sich aus:
a) Gesetzliche Rahmenbedingungen
- § 60 EnWG (Messstellenbetrieb): Der Netzbetreiber muss Messwerte „zeitnah und vollständig“ bereitstellen. Eine konkrete Frist ist jedoch nicht definiert.
- MaBiS (Marktregeln für die Durchführung der Bilanzkreisabrechnung Strom): Hier werden Mindestanforderungen an die Datenqualität gestellt, z. B.:
- Vollständigkeit der Viertelstundenwerte (VZW) für Standardlastprofile.
- Plausibilitätsprüfungen durch den Netzbetreiber.
- GPKE (Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität): Definiert Fristen für die Datenübermittlung, lässt aber individuelle Anpassungen in Lieferverträgen zu.
b) Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten
Die regulatorischen Spielräume ermöglichen es Netzbetreibern und Lieferanten, individuelle Vollständigkeitskriterien zu vereinbaren, z. B.:
- Erweiterte DTM-Zeiträume:
- Statt eines Monats kann ein rollierender 30-Tage-Zeitraum definiert werden, um Verzögerungen bei der Datenübertragung abzufedern.
- Beispiel: Der DTM-Zeitraum endet nicht am Monatsletzten, sondern 5 Werktage nach Monatsende, um Nachlieferungen zu ermöglichen.
- Schwellenwerte für Datenlücken:
- Es kann vereinbart werden, dass bis zu X % fehlender Messwerte toleriert werden, bevor eine Schätzung oder Korrektur erfolgt.
- Beispiel: Bei weniger als 5 % fehlender Viertelstundenwerte wird keine Nachlieferung verlangt.
- Priorisierung von Datenquellen:
- Falls Messwerte fehlen, kann eine Hierarchie der Ersatzwerte festgelegt werden (z. B. zuerst Prognosewerte, dann historische Daten, zuletzt Standardlastprofile).
- Haftungsregelungen bei Datenverlust:
- Es kann vertraglich geregelt werden, wer das Kostenrisiko trägt, wenn Messwerte aufgrund technischer Störungen verloren gehen (z. B. durch Zählerausfall).
c) Regulatorische Grenzen der Spielräume
Trotz der Flexibilität gibt es zwingende Vorgaben, die nicht unterschritten werden dürfen:
- Diskriminierungsverbot (§ 20 EnWG): Vollständigkeitskriterien müssen marktweit einheitlich angewendet werden, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
- Transparenzgebot (§ 47 EnWG): Die Kriterien müssen klar dokumentiert und für alle Marktteilnehmer zugänglich sein.
- Verhältnismäßigkeit: Die Anforderungen dürfen nicht unzumutbar hoch sein (z. B. 100 % Vollständigkeit ohne Toleranz).
4. Praktische Empfehlungen für die Ausgestaltung
Um Konflikte zu vermeiden und die Risikoverteilung klar zu regeln, sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:
- Klare Definition der DTM-Zeiträume:
- Der Übertragungszeitraum sollte deckungsgleich mit dem Bilanzierungsmonat sein oder eine überschaubare Vorlaufzeit (z. B. 2–3 Tage) umfassen.
- Automatisierte Plausibilitätsprüfungen:
- Netzbetreiber sollten technische Systeme einsetzen, die Datenlücken in Echtzeit erkennen und melden.
- Standardisierte Eskalationsprozesse:
- Bei fehlenden Daten sollte ein formalisiertes Verfahren (z. B. Fristen für Nachlieferungen, Schätzungsmethoden) gelten.
- Regelmäßige Überprüfung der Kriterien:
- Die Vollständigkeitskriterien sollten jährlich im Rahmen der Marktkommunikation (z. B. GPKE-Anpassungen) überprüft werden.
5. Fazit
Die logische Verknüpfung von Bilanzierungsmonat und DTM-Segmenten ist entscheidend für die Risikoverteilung in der Energiemengenabrechnung. Während der Netzbetreiber für die technische Datenbereitstellung verantwortlich ist, obliegt dem Lieferanten die Nutzung und Prüfung der Daten. Die regulatorischen Spielräume ermöglichen individuelle Anpassungen, müssen jedoch diskriminierungsfrei und transparent umgesetzt werden. Eine klare vertragliche Regelung der Vollständigkeitskriterien und Eskalationsprozesse kann Streitigkeiten vermeiden und die Effizienz der Marktprozesse erhöhen.