Auswirkungen der zeitlichen Asymmetrie in der MSCONS-Übermittlung auf die Risikoverteilung im Energiemarkt
1. Problemstellung: Zeitliche Asymmetrie und ihre Folgen
Die MSCONS-Nachricht (Metered Services Consumption Report) dient der Übermittlung von Messwerten (z. B. Stromverbrauch, Einspeisung) zwischen Marktteilnehmern im Energiesektor. Gemäß den regulatorischen Vorgaben (u. a. MaBiS, GPKE, GeLi Gas) müssen die in einer MSCONS übermittelten Zeiträume oder Zeitpunkte stets in der Vergangenheit liegen, da nur bereits erfasste oder auf Basis gemessener Werte berechnete Daten übertragen werden dürfen.
Diese zeitliche Asymmetrie – die Verzögerung zwischen Messwertentstehung und Übermittlung – führt zu einer Risikoverlagerung zwischen den beteiligten Akteuren:
- Netzbetreiber (NB)
- Lieferanten (LF)
- Bilanzkreisverantwortliche (BKV)
Die Latenz entsteht durch:
- Technische Verzögerungen (z. B. Zählerauslesung, Datenaufbereitung)
- Prozessuale Fristen (z. B. späteste Übermittlungstermine nach MaBiS)
- Plausibilitätsprüfungen (z. B. Ersatzwertbildung bei fehlenden oder unplausiblen Werten)
2. Risikoverteilung durch zeitliche Asymmetrie
2.1 Netzbetreiber (NB)
Risiken:
- Verzögerte Abrechnungsgrundlage: Da MSCONS-Daten erst nach der Messung übermittelt werden, können Netzbetreiber nicht in Echtzeit auf Verbrauchsabweichungen reagieren.
- Ersatzwertbildung: Bei fehlenden oder unplausiblen Werten müssen Netzbetreiber Ersatzwerte (z. B. Standardlastprofile, historische Daten) bilden, was zu Ungenauigkeiten in der Bilanzierung führen kann.
- Haftung für Datenqualität: Netzbetreiber tragen die Verantwortung für die korrekte Erfassung und Übermittlung der Messwerte. Fehlerhafte oder verspätete Daten können zu Nachforderungen oder Strafzahlungen führen.
Kompensationsmechanismen:
- Fristen nach MaBiS: Netzbetreiber müssen MSCONS-Daten spätestens bis zum 15. Werktag des Folgemonats übermitteln (§ 12 MaBiS). Dies begrenzt die maximale Verzögerung.
- Plausibilitätsprüfungen: Automatisierte und manuelle Kontrollen (z. B. Vergleich mit historischen Werten, Grenzwertprüfungen) reduzieren das Risiko fehlerhafter Daten.
- Ersatzwertregelungen: Klare Vorgaben zur Bildung von Ersatzwerten (z. B. nach StromNZV, GasNZV) begrenzen die finanzielle Belastung durch fehlende Daten.
2.2 Lieferanten (LF)
Risiken:
- Verzögerte Verbrauchsprognosen: Da Lieferanten auf MSCONS-Daten für die Bilanzkreisbewirtschaftung angewiesen sind, führen verspätete oder unvollständige Daten zu Prognosefehlern und damit zu Bilanzabweichungen.
- Kosten durch Ausgleichsenergie: Bei ungenauen Verbrauchsvorhersagen müssen Lieferanten teure Ausgleichsenergie beschaffen, um ihre Bilanzkreise auszugleichen.
- Reklamationsrisiko: Kunden können bei fehlerhaften Abrechnungen (z. B. aufgrund von Ersatzwerten) Nachforderungen oder Vertragsstrafen geltend machen.
Kompensationsmechanismen:
- Fristen für Lieferanten: Lieferanten müssen ihre Bilanzkreisabrechnung bis zum 20. Werktag des Folgemonats vorlegen (§ 13 MaBiS), was eine gewisse Pufferzeit für die Datenaufbereitung schafft.
- Datenqualitätsprüfungen: Lieferanten können Plausibilitätschecks durchführen (z. B. Vergleich mit Vorjahreswerten, Lastganganalysen) und bei Unstimmigkeiten Reklamationen einreichen.
- Vertragliche Regelungen: In Lieferverträgen können Haftungsausschlüsse für Ersatzwerte oder Pönalen bei verspäteter Datenlieferung vereinbart werden.
2.3 Bilanzkreisverantwortliche (BKV)
Risiken:
- Bilanzkreisungleichgewichte: Da BKV für die Ausgeglichenheit ihrer Bilanzkreise verantwortlich sind, führen verspätete oder fehlerhafte MSCONS-Daten zu höheren Ausgleichsenergiekosten.
- Regulatorische Sanktionen: Bei wiederholten Bilanzabweichungen können Bußgelder oder Ausschluss vom Markt drohen (§ 52 EnWG).
- Marktpreisrisiko: Bei kurzfristigen Nachjustierungen müssen BKV teure Spotmarkttransaktionen durchführen.
Kompensationsmechanismen:
- Echtzeit-Datenanforderungen: BKV können zusätzliche Datenquellen (z. B. Smart-Meter-Daten, Echtzeit-Lastgänge) nutzen, um Prognosen zu verbessern.
- Risikomanagement-Tools: Einsatz von Portfoliooptimierungssoftware und Szenarioanalysen, um Verzögerungen abzufedern.
- Regulatorische Puffer: Die Bundesnetzagentur (BNetzA) erlaubt in Ausnahmefällen nachträgliche Korrekturen der Bilanzkreisabrechnung, sofern die Verzögerung nicht vom BKV zu vertreten ist.
3. Prozessuale und regulatorische Gegenmaßnahmen
3.1 Fristenregelungen (MaBiS, GPKE, GeLi Gas)
- Späteste Übermittlungstermine:
- Netzbetreiber: 15. Werktag des Folgemonats (§ 12 MaBiS)
- Lieferanten: 20. Werktag des Folgemonats (§ 13 MaBiS)
- Bilanzkreisverantwortliche: 25. Werktag des Folgemonats (§ 14 MaBiS)
- Pufferzeiten: Die gestaffelten Fristen ermöglichen eine schrittweise Datenvalidierung und reduzieren das Risiko von Kettenreaktionen.
3.2 Plausibilitätsprüfungen und Ersatzwertbildung
- Automatisierte Checks:
- Grenzwertprüfungen (z. B. Maximalverbrauch pro Zähler)
- Vergleich mit historischen Daten (z. B. Vorjahresverbrauch)
- Konsistenzprüfungen (z. B. Summenkontrolle über mehrere Zähler)
- Manuelle Nachkontrollen:
- Bei Auffälligkeiten (z. B. plötzliche Verbrauchsspitzen) können Netzbetreiber oder Lieferanten Nachmessungen anfordern.
- Ersatzwertregeln:
- Standardlastprofile (SLP) für Haushaltskunden
- Tagesmittellastprofile für Gewerbekunden
- Interpolation bei fehlenden Einzelwerten
3.3 Regulatorische Eskalationsmechanismen
- Reklamationsverfahren:
- Marktteilnehmer können fehlerhafte MSCONS-Daten innerhalb von 10 Werktagen nach Erhalt reklamieren (§ 15 MaBiS).
- Schiedsstellenverfahren:
- Bei Streitigkeiten über Datenqualität oder Fristen kann die Schiedsstelle Energie angerufen werden.
- Bußgeldvorschriften:
- Bei wiederholten Verstößen gegen Übermittlungsfristen oder Datenqualität können Geldbußen verhängt werden (§ 95 EnWG).
4. Fazit: Ausgleich der Risiken durch strukturierte Prozesse
Die zeitliche Asymmetrie in der MSCONS-Übermittlung führt zu einer ungleichen Risikoverteilung, die jedoch durch regulatorische Vorgaben, Fristen und Plausibilitätsprüfungen weitgehend kompensiert wird.
- Netzbetreiber tragen das Erfassungs- und Übermittlungsrisiko, werden aber durch Ersatzwertregeln und Fristen entlastet.
- Lieferanten sind von Prognoseunsicherheiten betroffen, können aber durch Datenvalidierung und Reklamationen gegensteuern.
- Bilanzkreisverantwortliche müssen Ausgleichsenergiekosten tragen, haben jedoch Pufferzeiten und Risikomanagement-Tools zur Verfügung.
Eine weitere Reduzierung der Latenz könnte durch Echtzeit-Datenerfassung (z. B. Smart Meter) und automatisierte Datenvalidierung erreicht werden. Bis dahin bleiben die bestehenden prozessualen und regulatorischen Mechanismen der zentrale Hebel, um die Risiken der zeitlichen Asymmetrie zu begrenzen.