Willi Mako
// PROTOCOL:

Risikoverteilung bei Geschäftsvorfällen: Einzelprüfung vs. Batch

ID#D8B-1B
STATUSREAD_ONLY
AUTHORSYS_ADMIN
TAGS [EDIFACT][PROZESS]

Risikoverteilung und implizite Annahmen bei der individuellen Prüfung von Geschäftsvorfällen

Die individuelle Prüfung jedes Geschäftsvorfalls vor der Verarbeitung führt zu einer grundlegenden Verschiebung der Risikoverteilung zwischen Sender und Empfänger in der Prozesskette. Während bei pauschalen Verarbeitungsmodellen (z. B. Batch-Verarbeitung ohne Vorabprüfung) das Risiko von Fehlern oder Nichtverarbeitbarkeit primär beim Empfänger liegt, wird dieses durch die Einzelprüfung teilweise auf den Sender zurückverlagert. Gleichzeitig entstehen neue Verantwortungsbereiche, die regulatorisch und vertraglich vorausgesetzt werden.


1. Veränderung der Risikoverteilung

a) Risiko der Nichtverarbeitbarkeit

Bei einer Einzelprüfung wird jeder Geschäftsvorfall vor der Verarbeitung auf seine technische und inhaltliche Verarbeitbarkeit hin überprüft. Nur nicht verarbeitbare Vorfälle werden abgelehnt. Dies hat folgende Konsequenzen:

  • Sender trägt das Risiko der Ablehnung: Da der Empfänger nur solche Vorfälle zurückweist, die objektiv nicht verarbeitet werden können (z. B. wegen fehlender Datenfelder, Formatfehlern oder inkompatibler Werte), liegt das Risiko einer Ablehnung primär beim Sender. Dieser muss sicherstellen, dass seine Daten den Anforderungen des Empfängers entsprechen.
  • Empfänger übernimmt nur das Risiko der Fehlprüfung: Der Empfänger haftet lediglich für Fehler in der Prüflogik (z. B. falsche Ablehnung eines eigentlich verarbeitbaren Vorfalls). Die Verantwortung für die korrekte Datenqualität verbleibt jedoch beim Sender.

b) Operative Risiken und Haftung

  • Verzögerungsrisiko: Die Einzelprüfung kann zu längeren Bearbeitungszeiten führen, insbesondere wenn Vorfälle manuell nachbearbeitet werden müssen. Dieses Risiko trägt in der Regel der Sender, sofern vertraglich keine Service-Level-Agreements (SLAs) für die Prüfgeschwindigkeit vereinbart sind.
  • Haftung für Folgeschäden: Falls ein abgelehnter Vorfall zu finanziellen oder operativen Schäden führt (z. B. durch verspätete Zahlungen), hängt die Haftung davon ab, wer den Fehler verursacht hat:
    • Sender: Bei fehlerhaften oder unvollständigen Daten.
    • Empfänger: Bei fehlerhafter Prüfung (z. B. Ablehnung eines korrekten Vorfalls).

2. Implizite Annahmen über Datenqualität und Verantwortung

Die Einzelprüfung setzt voraus, dass bestimmte Standards und Verantwortlichkeiten klar definiert sind. Diese Annahmen sind entweder regulatorisch vorgegeben oder müssen vertraglich geregelt werden.

a) Datenqualitätsstandards

  • Vollständigkeit und Richtigkeit: Der Sender muss sicherstellen, dass alle für die Verarbeitung erforderlichen Datenfelder vorhanden und korrekt sind. Fehlen z. B. Pflichtangaben (wie Referenznummern oder Beträge), wird der Vorfall abgelehnt.
  • Formatkonformität: Die Daten müssen in einem vorab definierten Format (z. B. ISO 20022, EDIFACT) übermittelt werden. Abweichungen führen zur Ablehnung.
  • Aktualität: Zeitkritische Vorfälle (z. B. Zahlungsaufträge) müssen innerhalb gültiger Fristen eingereicht werden. Verspätete Übermittlungen können zur Ablehnung führen, selbst wenn die Daten ansonsten korrekt sind.

Regulatorische Grundlage: In vielen Bereichen (z. B. Zahlungsverkehr nach der PSD2 oder SEPA-Regularien) sind Mindeststandards für Datenqualität vorgegeben. Die Einzelprüfung setzt voraus, dass diese Standards eingehalten werden.

b) Verantwortungszuweisung

  • Prüfpflicht des Empfängers: Der Empfänger muss eine technisch und logisch korrekte Prüfung durchführen. Eine fehlerhafte Ablehnung (z. B. wegen eines Softwarefehlers) kann zu Haftungsansprüchen führen.
  • Nachweispflicht des Senders: Bei abgelehnten Vorfällen muss der Sender nachweisen können, dass seine Daten den Anforderungen entsprachen. Dies erfordert oft eine lückenlose Dokumentation (z. B. Protokolle, Zeitstempel).
  • Transparenz der Ablehnungsgründe: Der Empfänger ist in der Regel verpflichtet, dem Sender die Gründe für die Ablehnung mitzuteilen (z. B. über Fehlermeldungen oder Statuscodes). Dies dient der Nachvollziehbarkeit und ermöglicht dem Sender, Korrekturen vorzunehmen.

Vertragliche Regelungen: Typischerweise werden folgende Punkte in Verträgen oder Rahmenvereinbarungen festgelegt:

  • Definition der Prüfkriterien (z. B. welche Datenfelder obligatorisch sind).
  • Ablehnungsfristen (z. B. automatische Ablehnung nach 24 Stunden ohne Rückmeldung).
  • Escalation-Prozesse (z. B. manuelle Prüfung bei strittigen Fällen).
  • Haftungsausschlüsse (z. B. für höhere Gewalt oder Systemausfälle).

3. Regulatorische und praktische Konsequenzen

a) Compliance-Anforderungen

  • Aufsichtsrechtliche Vorgaben: In regulierten Bereichen (z. B. Banken, Versicherungen) müssen Prüfprozesse dokumentiert und auditierbar sein. Die BaFin, EZB oder andere Aufsichtsbehörden können die Einhaltung der Prüfstandards überprüfen.
  • Datenschutz (DSGVO): Falls personenbezogene Daten geprüft werden, muss sichergestellt sein, dass die Prüfung nur die notwendigen Datenfelder betrifft und keine unzulässige Verarbeitung stattfindet.

b) Praktische Herausforderungen

  • Automatisierung vs. manuelle Prüfung: Eine vollständige Automatisierung der Prüfung setzt voraus, dass alle möglichen Fehlerfälle vorab definiert sind. In komplexen Prozessketten (z. B. Supply-Chain-Finanzierung) kann dies schwierig sein, sodass manuelle Nachprüfungen erforderlich werden.
  • Schnittstellenmanagement: Die Einzelprüfung erfordert eine enge Abstimmung zwischen Sender und Empfänger, insbesondere bei Änderungen der Prüfkriterien (z. B. neue Pflichtfelder). Fehlende Kommunikation kann zu erhöhten Ablehnungsquoten führen.
  • Kostenverteilung: Die Einzelprüfung verursacht beim Empfänger höhere Betriebskosten (z. B. für Prüfsoftware, Support). Diese Kosten werden oft über Gebühren oder vertragliche Vereinbarungen auf den Sender umgelegt.

4. Fazit: Vorteile und Grenzen des Modells

Die Einzelprüfung jedes Geschäftsvorfalls führt zu einer klaren Risikoverteilung, bei der der Sender für die Datenqualität und der Empfänger für die korrekte Prüfung verantwortlich ist. Dies reduziert das Risiko von Fehlverarbeitungen, setzt jedoch voraus, dass:

  1. Datenstandards verbindlich definiert und eingehalten werden,
  2. Verantwortlichkeiten vertraglich oder regulatorisch klar geregelt sind,
  3. Transparenz über Ablehnungsgründe und Prüfprozesse besteht.

Vorteile:

  • Geringere Fehlerquote in der Verarbeitung.
  • Klare Zuweisung von Haftungsrisiken.
  • Möglichkeit zur frühzeitigen Korrektur durch den Sender.

Grenzen:

  • Höhere Komplexität und Kosten für beide Seiten.
  • Abhängigkeit von der Qualität der Prüflogik (Fehler führen zu falschen Ablehnungen).
  • Potenzielle Verzögerungen in der Prozesskette.

Für eine reibungslose Umsetzung ist daher eine standardisierte, dokumentierte und kommunizierte Prüfstrategie unerlässlich.